Milo Rau über sein Theaterprojekt: Jesus, der Loser
Unser Autor inszeniert in Süditalien ein „Neues Evangelium“. Sein Heiland ruft Lega-Wähler dazu auf, „zum wahren Glauben“ zurückzukehren.
V or ein paar Tagen begann in Italien die heiße Phase unseres Jesus-Films, zu dem auch die „Rivolta della Dignità“, eine politische Kampagne für die Rechte von Migranten und Landarbeitern gehört. Unser Jesus, der Aktivist Yvan Sagnet, ist schwarz, seine Kampagne besteht unter anderem in Hausbesetzungen, Sit-ins und Verführung zu zivilem Ungehorsam.
Kürzlich riefen er und seine Apostel die Wähler der rechtsradikalen Lega dazu auf, „zum wahren Glauben zurückzukehren“. Mit Rechten reden? Gern, aber nur, wenn sie vorher Buße tun.
Vergangene Woche erschien unser schwarzer Jesus auf der Titelseite der größten rechten Zeitung Italiens, die perverserweise La Verità heißt. Ein Bild zeigte ihn mit Dornenkrone, der erste Satz des Artikels lautete: „Könnten Migranten tatsächlich über Wasser gehen, dann hätten wir ein echtes Problem.“ Faschistische Rhetorik ist mit bürgerlichen Maßstäben nicht messbar.
Sie ist immun gegen Argumente politischer oder ethischer Art, da „in der analen Phase stecken geblieben“, wie ein Analyst einmal sagte. Was gemäß Freud ein lustvoller Zustand ist. Oder mit Pasolini gesprochen: Es macht eben verdammt viel Spaß, Faschist zu sein.
Das Zitat der Verità ist ein finsterer, unendlich bösartiger Scherz. Es ist, als würde dieser Journalist auf das Grab von Tausenden von ertrunkenen Menschen spucken. Ich glaube übrigens, dass das unterdessen so normal ist, dass es niemanden auch nur aufgefallen ist.
Und es würde wohl auch niemandem auffallen, würde der gleiche Journalist bei einem Schulbrand in Afrika schreiben: „Wären afrikanische Kinder wirklich feuerfest, hätten wir ein echtes Problem.“ Und sich dabei als Mann fühlen, der die Dinge sagt, wie sie sind: Diese Menschen sind Verlierer durch Geburt im globalen Kapitalismus – und haben deshalb den Tod verdient.
„Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Aber wie kann man rassistische Gewalt darstellen? In unserem Film spielt eben der Kameruner Yvan Sagnet den Gottessohn. Kaum eine Geschichte ist zugleich so gewalttätig und zart wie das Neue Testament. Gott wird zum Menschen, um das Einzige kennenzulernen, was ein Gott nicht kennen kann: den Tod.
Dieser Gott stirbt, nicht metaphorisch, sondern körperlich, durch Einwirkung extremster Gewalt – am Kreuz. Seine letzten Worte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Die abstrakte Sinnstiftung scheitert am Leid des Individuums.
An einem unendlichen langen Drehtag filmen wir in einer der Materaner Höhlensiedlungen die Folterung des Gottessohns. Gerade weil Sagnet schwarz ist, wird Jesus als Individuum sichtbar. Etwas stimmt nicht im Bild, und auf einmal ist da nicht mehr „Jesus“, sondern ein Körper: ein afrikanischer Körper, der ganz konkret der abstrakten Gewalt des globalen Rassismus unterworfen ist.
Für die Maske ist der Maskenbildner von Mel Gibson angereist, als Stuntman haben wir den Stuntman des neuen James Bond eingeladen, der gerade in der Stadt gedreht wird. Im Hintergrund dieser also völlig naturalistisch ausgemalten Folterung ist aber ein kleines Podest aufgebaut: auf ihm sitzen Zuschauer, darunter Enrique Irazoqui, der Jesus von Pasolini, und Maia Morgenstern, die Mutter Gottes bei Mel Gibson.
Gerade die historischen Kostüme und Kulissen, gerade das ganze Kunstblut lassen Jesus in seiner absoluten Verletzlichkeit hervortreten. „Wir haben den Kampf gegen den Faschismus verloren“, sagt mir der Spanier Irazoqui, der einst gegen Franco kämpfte, als ich ihm später am Tag den Artikel in der Verità zeige. Aber das eigentliche Mysterium von Jesus besteht ja gerade darin, dass er nach kapitalistischem Maßstab ein Loser ist.
Dass er stirbt, dass er im Kampf gegen Rom unterliegt – und damit, wie Paulus später feststellen wird, einen Sieg über das Siegen selbst erringt. Denn man kann einen Kampf nicht verlieren. Man kann ihn nur nicht kämpfen.
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