Nach dem Abi zum Gemüse

AUFSTIEG Lebensmittelketten bilden jährlich Tausende Jugendliche aus, auch Abiturienten. Sie können sich zum Handelsfachwirt qualifizieren und Führungskraft werden

„Ob eine Kette zu empfehlen ist, hängt davon ab, ob sie an einen Tarif gebunden ist“

André Kretschmar, Ver.di-Sekretär

VON AMADEUS ULRICH

Eine junge Frau kniet und putzt grinsend eine Pflanze. Hinter ihr sitzt ein Mann im Anzug, telefoniert, streckt ihr den Daumen entgegen und legt die Füße auf den Tisch. Zwischen den Türrahmen stehen zwei weitere junge Frauen und gucken grimmig. „Ach Kacke, jetzt hat sie den Job gekriegt“, sagt eine. „Und ich hab’ mich nicht getraut, zu fragen“, die andere. Zum Schluss aus dem Off die Pointe: „Lern doch lieber was Vernünftiges!“

Es handelt sich bei dieser Szene um ein Werbevideo des Lebensmittelhändlers Edeka, der jungen Leuten suggerieren möchte: Als Azubi wirst du bei uns nicht ausgenutzt. Seit Jahren werben Lebensmittelketten in Deutschland im großen Stil für ihre Ausbildung. Dabei versuchen sie, jeden anzusprechen: seien es Haupt- oder Realschulabsolventen oder Abiturienten, die eine duale Ausbildung in einer der Ketten machen können.

„Wir bieten unseren Auszubildenden Perspektiven“, sagt Dorothea Wiellowicz, Referentin bei Deutschlands zweitgrößtem Lebensmittelhändler Rewe. Der Konzern bildet rund 1.500 junge Menschen aus: im Markt, in Logistik, Service und Verwaltung.

Um gezielt auch Abiturienten anzusprechen, bietet Rewe ein Programm, in dem man sich in dreieinhalb Jahren erst zum Einzelhandelskaufmann und danach zum Handelsfachwirt qualifiziert, der mit einem Bachelor vergleichbar ist. Rewe lockt mit späteren Aufstiegschancen im Konzern. Rund 70 Prozent der Führungskräfte würden aus den eigenen Reihen rekrutiert.

Außer Abitur seien erste Erfahrungen durch Praktika oder Nebenjobs „ein Plus bei der Bewerbung“. Zudem sei die persönliche Eignung wichtig.

Tobias Scheid, 20, hat zum Beispiel nach seinem Abitur vor knapp einem Jahr eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei Rewe begonnen. Wenn alles glatt läuft, kann er sich anschließend in Seminaren der Handelkammer zum Handelsfachwirt weiterbilden.

Tobias sagt, ihm gefalle die Ausbildung: „Ich merke, dass meine Arbeit geschätzt wird.“ Denn er bekomme viel Verantwortung, leitet zum Beispiel mal die Gemüseabteilung, bestellt Waren, baut um, schließt die Filiale morgens auf. „Ich darf alles machen, was ich gelernt habe.“

Jedoch sei die Ausbildung stressig. Er ist fünf Tage die Woche acht bis zehn Stunden in der Filiale. „Ich würde diese Ausbildung vor allem jenen empfehlen, die ehrgeizig und belastbar sind, also Einiges wegstecken können“, sagt er. „Man bekommt nichts geschenkt, wird aber auch nicht ausgebeutet“, sagt er. Man bestimme durch Leistung sein Aufstiegstempo mit.

Ob eine Ausbildung bei einer der Handelsketten in Deutschland zu empfehlen ist, hänge vor allem davon ab, ob sie an einen Tarif gebunden sei und ob es Betriebsräte gebe, sagt André Kretschmar, Ver.di-Sekretär im Fachbereich Handel. Besonders in Discountern, bei denen es darum geht, die Kosten niedrig zu halten, seien die Situation und die Karriereaussichten für Jugendliche meist schlechter. Dort gebe es oft keine Tarifverträge, Azubis würden ausgenutzt und seien kein Wert, sondern ein Kostenfaktor. „Die Discounterisierung birgt die Gefahr, dass die Ausbildung leidet“, sagt Kretschmar.

Generell sei die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann Jugendlichen jedoch zu empfehlen, sofern sie geregelt, strukturiert und an Verträge gebunden ist. Daher rät er, vor der Bewerbung zu prüfen, ob das Unternehmen einen Tarifvertrag bietet und es betriebliche Interessenstrukturen gibt. „Wenn diese zwei Dinge vorhanden sind, ist das eine Grundvoraussetzung für eine gute Ausbildung in einer Handelskette“, sagt André Kretschmar. „Dann kann man im Handel durchaus Karriere machen.“ Und man muss gewiss keine Pflanzen putzen.