Eine durchsichtige Frau

SONGS Klangteppiche, Lo-Fi-Minimalismus, lustige Pingpong-Matches: Die Musikerin Cat Power hat ein funkelndes Popjuwel gerausgebracht

Höhepunkt ist eine Hommage an Bowies Hymne „Heroes“, zu der Iggy Pop „You wanna live!“ grölt

VON EVA BEHRENDT

In Hamburg erzählt sie, dass sie „die verdammte Minibar“ leergetrunken hat, bevor sie ihrem Ex eine SMS schickte. Dabei hat sie sich „in eine Ecke unter dem Fenstersims verkrochen“ und geheult.

In Miami beeindruckt sie die Kritikerin des Guardian, als sie eine Runde in der Strandbar nach der anderen schmeißt. Eine weitere Kollegin lädt sie zu sich nach Hause ein, um bei einer Massage Seite an Seite über Verflossene und musikalische Wurzeln zu sprechen.

Darin offenbart sie auch finanzielle Engpässe – in einer psychisch labilen Phase um 2006 zahlte sie zwei Jahre lange keine Steuern; ihr neues Album „Sun“ finanziert sie mit dem Geld ihrer aufgelösten Rentenversicherung; Produzent Philippe Zdar arbeitet am Ende gratis für sie.

Cat Power alias Chan Marshall ist eine durchsichtige Frau dieser Tage. Und doch lassen all die heiklen Details, die jüngste Berichte über sie preisgeben, sich zu keinem scharfen Bild stellen. Ist sie nun charismatisch oder irre schüchtern, selbstzerstörerisch oder lebenslustig, Workaholic oder totale Chaotin, von der Trennung gezeichnet, in hysterischer Aufbruchstimmung oder womöglich alles zusammen?

„Sun“ ist jedenfalls ein Bruch im Werk von Cat Power. Es ist ein leuchtendes, funkelndes, euphorisches Pop-Juwel geworden, ein Meisterstück, das Selbstbestimmtheit predigt und doch die Schwermut in sich trägt, für die Cat Power bislang stand. Mehrere Jahre hat sie darüber gebrütet, unterbrochen von Phasen, in denen Marshall sich dazu durchringen musste, sich vom ja irgendwie auch wohligen Sound der Depression zu verabschieden.

Ein Konzertmitschnitt auf Youtube von 2011 belegt, dass selbst der sofort in die Beine fahrende Hit „Ruin“ im melancholischen Mustopf wurzelt: Cat Power, damals noch langhaarig und liiert, haucht zu einem schleppenden Latino-Klaviermotiv Städtenamen ins Mikrofon. Inzwischen ist daraus ein nicht nur fast doppelt so schneller, sondern auch äußerst eigenwilliger Song geworden, in dem der Latino-Loop, New-Wave Gitarren und Cat Powers Stimme(n) klirrend schön und irritierend autonom nebeneinander her treiben.

„The Greatest“ (2006), ihr letztes, vorwiegend auf eigenem Material basierendes Album, war eine sichere Bank für einsame Abende am Fenster, Alleinetrinken und Den-Mond-Anheulen. Chan Marshall lieferte damals die passenden Performances; ihre abgebrochenen Konzerte sind legendär. „Lived in Bars“ oder „The Moon“ hießen die Songs, die mit spärlicher Begleitung auskamen und Marshalls dunkle, durch Halleffekte mädchenhaft gehaltene Soulstimme betont schlicht in Szene setzten – pathetisch und erotisierend zugleich. Ihnen war sowohl Chan Marshalls Südstaaten-Herkunft anzuhören wie auch ihre Anfänge in der New Yorker Indieszene, wo Cat Power zunächst der Name für eine Band mit Sonic-Youth-Drummer Steve Shelley war.

Auf dem neuen Album ist „Manhattan“ der einzige Song, der an diese Vergangenheit anknüpft. Alles andere lässt auf gründliche Aufräumarbeiten und mutige Experimente schließen, sowohl in Marshalls eigenem Studio in Miami als auch bei Philippe Zdar, dem Pariser Elektrogenie.

Cat Powers Stimme wird in fast allen Songs zerlegt, aufgespalten, durch unterschiedliche Spuren in unterschiedliche Farben getaucht – zusammen mit ihren eigenen Background Vocals ergeben sich samtige Klangteppiche, jubilierende Chöre, manchmal auch lustige Pingpong-Matches. Mal umspielt sie sich Lo-Fi-minimalistisch wie im meditativen „Always on my own“, mal formiert sie sich selbstbewusst zum R’n’B-Ensemble wie in „3, 6, 9“. Oder sie jubelt weltallumarmend wie im rockigen Auftaktsong „Cherokee“: „Burry me / marry me to the sky“.

Auch ihrer Lust am Covern und Zitieren ist Cat Power treu geblieben: Der Höhepunkt des Albums, das zehnminütige „Nothing but time“, ist eine Hommage an Bowies „Heroes“ und eine triumphale Hymne auf das Selbst: „Never give away your body / Never give away your friends / Never give away what you always wanted / Never ever give in!“, zu der Iggy Pop aus dem Hintergrund „You wanna live!“ hereingrölt.

Und das scharfe Finale nach diesem Finale, „Peace & Love“, verbeugt sich rappend vor Nina Simone und Black Flag: „Everybody’s got shit to pay“. Wer, wenn nicht Chan Marshall kann ein Lied davon singen!

„Sun“ entstand in großen Teilen nach einer Lebenskrise, während sie mit dem Schauspieler Giovanni Ribisi zusammen war. Als der sie für eine andere verließ, schloss Marshall das Album in wenigen Tagen in Paris ab. Schwer zu sagen also, ob der Neuanfang, den „Sun“ symbolisiert, noch in die Zeit der Liebe fällt oder in die danach. Aber die kämpferische Botschaft lautet ja: Es ist immer Neuanfang, weil immer Schluss ist. Oder umgekehrt.

■ Cat Power, „Sun“ (Matador/Beggars Group/Indigo