Der Fall A.: Ein Tabubruch

Amtsgericht bewilligt Abschiebehaft nach Suizidversuch

Das brutale Vorgehen vieler Ausländerbehörden in NRW nimmt absurde Dimensionen an: Eine tschetschenische Flüchtlingsfrau aus Kamen wurde nach einem Suizidversuch mit folgender Erklärung in Abschiebehaft genommen. „Es besteht der begründete Verdacht, dass Frau A. sich erneut selbst verletzt hat, um sich der Abschiebung nach Polen zu entziehen“ – nach Polen, weil nach einer EU-weiten Drittstaatenregelung die Frau das Asylverfahren in dem EU-Land durchlaufen muss, wo sie ankam. Das Amtsgericht Kamen bewilligte dann die Haft mit der Begründung, es bestehe „Fluchtgefahr“, denn Frau A. habe „durch Suizidversuch versucht, die Abschiebung zu verhindern“.

Nachdem sich die kriegstraumatisierte Frau A. Anfang Juli ein Messer in den Bauch rammte, wurde sie in die Psychiatrie eingeliefert. Als die Tschetschenin nach ihrer Entlassung beim Sozialamt vorsprach, um einen Krankenschein abzuholen, hat man sie dort kurzerhand verhaftet. Seit Ende Juli wird die Mutter von drei Kindern im Justizvollzugskrankenhaus im sauerländischen Fröndenberg festgehalten. Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl, ist solch ein Fall in seiner langjährigen Arbeit noch nicht untergekommen: „Wenn es durchgeht, dass man hochgradig Traumatisierte aufgrund eines Suizidversuchs in Abschiebehaft nehmen darf, ist das ein weiterer Tabubruch in der Flüchtlingspolitik.“ Er fordert Innenminister Ingo Wolf (FDP) auf, die sofortige Freilassung von Frau A. zu veranlassen. Auch Frank Gockel, Sprecher des Vereins „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ spricht von einer neuen Qualität im Umgang mit Flüchtlingen. „Die Behörden haben gegen deutsches Recht verstoßen.“ Im Aufenthaltsgesetz seien mehrere Gründe aufgeführt, die eine Abschiebehaft rechtfertigten, „aber auf keinen Fall Krankheit“.

Der zuständige Amstrichter winkte den Haftantrag der Ausländerbehörde im Kreis Unna durch, ohne Frau A. angehört zu haben. Für Gockel ein Beweis, dass die meisten Amtsrichter mit dem Thema überfordert sind. „So kann es passieren, dass sie ungefragt die gesetzeswidrigen Beschlüsse der Ausländerbehörden übernehmen.“ Diese wiederum handelten so, um Unterkunftsausgaben zu sparen. Denn die Kosten für die Abschiebehaft muss das Land übernehmen. Das Gefängniskrankenhaus habe nicht einmal eine psychiatrische Abteilung, so Gockel: „Die Frau muss unbedingt behandelt werden.“NATALIE WIESMANN