Hauptsatz bare Münte

Politiknachhilfe für sauerländische Volksschüler: Auf dem Gänsemarkt spricht SPD-Parteichef Franz Müntefering nicht komplizierter, als er ist

Von Sven-Michael Veit

Das Leben kann so einfach sein und Politik durchschaubar. Nach einer Dreiviertelstunde Franz Müntefering ist der Kompass frisch geeicht und die Orientierung wieder klar, und die Ärmel sind aber so was von hochgekrempelt: „Also ran jetzt, wir können voran.“

„Die Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht umgekehrt“, das leuchtet ein. „Gleiche Bildungschancen für alle“, wer wollte dagegen sein. Die Frauen nicht, die Armen nicht, die Migranten nicht, denn sie alle sind ja gemeint, und die besserverdienenden Akademiker unter den fast 1.000 Menschen am Mittwochabend auf dem Gänsemarkt selbstredend auch nicht. „Geld darf nicht die Welt regieren“, da klingt er zwar etwas moralträumerisch, der Parteivorsitzende aus dem Westfälischen, aber er weiß natürlich genau, warum er das sagt.

Weil „nicht die Politik falsch war, die wir gemacht haben“, also das mit der Hartz-Agenda und so, sondern weil da einige meinten, sie könnten „sich aus ihrer Mitverantwortung stehlen“. Die Unternehmen nämlich, die rot-grüne Steuergeschenke ohne Gegenleistung einsacken wollten, aber da ist Müntefering vor: „Wir haben denen Geld gelassen, damit sie Arbeitsplätze schaffen“, also bitte jetzt.

„Wettbewerbsfähige Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit auf hohem Niveau dauerhaft“, sagt der Mann, der es wie kein anderer versteht, sein Publikum nicht durch Schachtelsätze zu überfordern, „dafür steht die SPD.“ So was wärmt das Herz der Genossen, wie zuvor schon am Nachmittag auf dem Sommerdom, das ist Münte pur. Und den politischen Gegner erledigt er so nebenbei. Die FDP gehöre ins Bonner „Haus der Geschichte, niemand braucht die“. Die „PDS/ML“ – mit Lafontaine – habe keine Lösungen für Deutschland, „das sind Illusionisten“.

Und die Kanzlerkandidatin der Union wolle den Reichen die Spitzensteuern senken und dafür allen die Mehrwertsteuer erhöhen: „Diese Merkelsteuer ist schlecht für Deutschland“, sagt der 65-Jährige, und um das zu erkennen, „muss man nicht Mathematiker sein, dafür reicht Volksschule Sauerland.“ Als darob Jungunionisten aus dem Hintergrund die sozialdemokratischen Beifallssalven mit Pfiffen zu übertönen versuchen, empfiehlt er spontan: „Nehmt keine roten Trillerpfeifen, sondern schwarze. Die Schwarzen sind doch die Pfeifen.“ So gibt man es den anderen, die prompt verstummen, so baut man die eigene Fangemeinde auf, die mit schadenfrohem Gelächter dankt, so spricht man den Verzagten Mut zu.

Und nimmt angesichts von Klinsmania und WM-Vorfreude gerne ein Beispiel aus dem Fußball zur Hand: „Die erste Halbzeit war nicht gut, die anderen führen. Wir haben noch sieben Minuten, um zwei Tore zu schießen. Also: Wahlkampf. Wahlkampf. Wahlkampf.“ Für eine starke SPD, für Gerhard Schröder als Bundeskanzler, für eine rot-grüne Koalition – „das“, sagt Müntefering, „und nichts anderes“.

Von einer „Schicksalswahl“ zu reden, wie jüngst Angela Merkel, sei aber falsch, gibt der Parteichef seinen „Genossinnen und Genossen“ noch mit auf den Weg: „Schicksal kann man nicht abwenden, eine Kanzlerin Merkel aber schon. Glückauf.“ Nach 45 Minuten bare Münte im Verbalstakkato ist er nicht mehr der Einzige, der glaubt, was er sagt.