Eine Sail, ist die lustig?

Bremerhaven hat seine fünfte Sail, reichlich Regen und Besucher – und ein kaum gestörtes Gelöbnis seiner neuen Matrosen. Das nächste Mal soll auch die Terminabstimmung mit Rostock klappen

Bremerhaven taz ■ „Ist das hier die Weser, oder was?“ Für viele Auswärtige beginnt das Sail-Erlebnis mit der Erkenntnis, dass Bremerhaven keineswegs am Meer liegt. Aber immerhin beginnt hier die Außenweser, und die ist auch schon ziemlich breit. Außerdem ist hier alles so wunderbar maritim! Selbst die Zeugen Jehova tragen Schiffermützen, die SPD plakatiert stilisierte Segler-Silhouetten – und dann die wohlgefüllten Hafenbecken! Schiffsleib kuschelt sich an Schiffsleib, alle sind über Top geflaggt, wie man so sagt, also mit hoch in den Mastspitzen befestigten Wimpelschnüren verziert.

Dass an der Pier sogar in zweiter Reihe geparkt, respektive angedockt wird, nährt die Hoffnung der Veranstalter, ihr optimistischer Superlativ möge sich am Ende als wahr erweisen: „Nie zuvor lagen in einem deutschen Hafen so viele große Segelschiffe aus so vielen Nationen zusammen.“ Nämlich 200 aus 26 Ländern. Dazu noch 100 andere Schiffe wie historische Dampfer oder der Hochseeschlepper „Wangerooge“, dessen Bord-Disco (“Wir lagen vor Madagaskar“) die Massen begeistert. Was will man mehr?

Zum Beispiel gegen die Militarisierung der Sail protestieren. In ihrem Rahmen wird nämlich auch „50 Jahre Bundeswehr“ gefeiert, inklusive öffentlichem Gelöbnis. Eine kleine Gruppe Bremer hat sich mit zwei Friedensfahnen auf den Weg gemacht um zu protestieren , in der Hoffnung auf Unterstützung. Die fällt zunächst eher spärlich aus. „Lass uns mal lieber da lang gehen, sonst müssen wir hinter der Fahne her“, heißt es im Gedränge hinter ihnen. Nicht geraden eine magnetische Wirkung, allerdings ist die Selbstdarstellung der Gruppe (“haben Sie ein Flugblatt? - Nö“) auch eher spröde.

Unverdrossen geht es weiter in Richtung Gelöbnis, zum Platz vor dem Schiffahrtsmuseum. Vorbei am „Deutschen Auswandererhaus“, das nach zwanzigjähriger Planungszeit, quasi mit feuchtem Estrich, aber rechtzeitig zu Sail eröffnet werden konnte. Vorbei an den Großbaustellen, die Bremerhavens Zukunft als Touristenziel betonieren sollen. Den Rohbau des „Time Port“ kann man mit Megapostern verdecken, bei der 20.000 Quadratmeter-Baugrube zwischen Alten und Neuen Hafen – also im Herzen der Sail – kann man allerdings nichts kaschieren. Statt des gigantischen Atlantic-Hotel in Gestalt einens Fock-Segels, statt des quallenförmigen Klima-Hauses, das zu Sail eigentlich fertig sein sollte, gibt es nur Erdhaufen und herum liegende Stahlträger zu sehen. Das selbe gilt für das „Mediterraneo“, in dem man irgendwann “authentische Waren in unterhaltsamer Umgebung kaufen soll.

Bremerhaven braucht Impulse. Deswegen gilt auch die Sail Wirtschaftsförderungsmaßnahme, wie Cheforganisator Hennig Goes erklärt. Wie viel sich die Stadt die maritime „Maßnahme“ kosten lässt, wird nicht erklärt. Dafür steht das Datum der Sail 2010 schon fest. Eine gute Voraussetzung, um eine Überschneidung wie dieses Jahr mit der Rostocker Hanse Sail auszuschließen. „Wir wollen dies Mal alles tun, um künftig Kollisionen zu vermeiden“, erklärt Goes. Verteidigungsminister Peter Struck gibt den Bremerhavenern wenig später den selben Rat.

Aber vornehmlich ist der Minister ja hergekommen, um 250 neue Mitglieder seiner Truppe in Empfang zu nehmen. Sie „geloben“ (die RekrutInnen) beziehungsweise „schwören“ (die SoladatInnen) dem Land treu zu dienen. Zwei Drittel mit, die anderen ohne Gott. „Aber letztlich läuft das auf das gleiche hinaus“, erklärt ein Hauptmann Derweil haben sich die Protestierer auf einem kleinen grünen postiert, ihre Pace-Fahnen flattern lustig im Wind, fast könnte man sie für einen Teil der Inszenierung halten.

Zumal ihr gelegentliches Pfeifen derart zögerlich ist, dass es glatt als Möwengefiepe durchgehen kann. Und das stört hier keinen. Struck selbst ist höchstens durch seine Krücken gestört, gerade erst ihm seine 250 Kilo-Maschine aufs rechte Knie gefallen. Also verzichtet er aufs Abschreiten der Parade („wie sähe das denn aus?!“, fragt der entsetzte Presseoffizier) und macht nur kurzes Shakehands. Das heißt einer Rekrutin tätschelt er – tatsächlich! – die Wange. Ist das neu im Zeremoniell? „Ich wollte lediglich den Sitz der Mütze prüfen“, erklärt der Minister später auf Nachfrage.

Im zivilen Bereich allerdings scheint die Sail schon so was wie ein Sündenpfuhl zu sein. Mit akribischer Lust hat die Bremerhavener Polizei einen Vorfall notiert, der sich gleich zu Beginn der Sail, am Mittwoch, zugetragen haben soll. Ein vermisstes weibliches Besatzungsmitglied eines südländischen Seglers sei dabei beobachtet, wie es sich nach dem dem Besuch der hiesigen Marineoperationsschule – in männlicher Begleitung – mit dem Taxi „zu einer privaten Adresse in Geestemünde“ begeben hätte. Dorthin sei aber „ein Verbindungsoffizier nachgeeilt“. Und dieser habe mittels seiner Signalpfeife die Ordnung wieder hergestellt. Eine Seefahrt ist eben doch nicht lustig. Henning Bleyl