Pfeifender Wurzelsepp

Bryan Clay gewinnt als „Sprint-Wurf-Typ“ den WM-Zehnkampf der Leichtathleten. Der US-Amerikaner ist drauf und dran, als zweiter Sportler die 9.000-Punkte-Marke zu durchbrechen, prognostiziert …

AUS HELSINKI FRANK BUSEMANN

100 m: Die 10,43 Sekunden von Bryan Clay sind gut, sie waren abzusehen. Der Amerikaner ist ein Supersprinter. Dass er zum Auftakt fast persönliche Bestleistung läuft, lässt bereits erahnen, dass er was draufhat. Das ist auch für den Kopf wichtig. Roman Sebrle hingegen ist nicht mehr so schnell, wie er es früher mal war. Also sind die 10,91 Sekunden okay.

Weitsprung: Wer nach den 100 Metern gedacht hat, dass Sebrle nichts draufhat, wird durch die 7,86 m eines Besseren belehrt. Für mich ist diese Leistung ein Indiz, dass er ein bisschen die Schwerpunkte verändert hat. Es sieht mir so aus, als wenn er mehr Krafttraining gemacht und sich auf die Würfe konzentriert hat. Darunter hat wohl die Sprintfähigkeit gelitten. Für einen, der schon 31 Jahre alt ist, ist das keine schlechte Taktik, denn im Alter wird man sowieso langsamer. Zu Clay: Wer als Topsprinter nur 7,54 m weit springt, der muss sich vor dem Absprung schon einen Knoten in die Beine machen. Also das ist so lala.

Kugelstoßen: Die 16,25 m sowie die 16,29 m sind für beide im Rahmen. Wobei man sagen muss, dass Clay, der ja nun wirklich so ein kleiner Wurzelsepp ist, seine fehlende Größe durch eine gute Technik und die entsprechende Kraft wettmachen kann.

Hochsprung: Hier will ich gar keinen große Worte über Clay und Sebrle verlieren, die 2,00 und die 2,06 m sind okay, mehr nicht. Wobei Clay den Vorteil hatte, dass er noch bei gutem Wetter dran war, während es bei Sebrle schon geregnet hat. Ein Highlight bietet für seine Verhältnisse André Niklaus mit seinen 2,03 m. Und er zeigt dabei, dass er clever ist, weil er nach der Regenpause den Wettkampf nicht mehr fortgesetzt hat.

400 m: Die Zeit von 48,62 Sekunden für Sebrle ist gut, die 47,78 Sekunden für Clay auch. Bei ihm sieht man, dass er durch seine Grundschnelligkeit unglaubliche Möglichkeiten hat. Wer über 100 m schnell ist, ist auch über 400 m schnell. Während der sich auf der Bahn noch locker ein Liedchen pfeift, müssen die anderen schon keulen. Diese Schnelligkeit ist wirklich ein ganz, ganz dicker Pluspunkt. Überhaupt überrascht mich Clay. Der hatte im Verlauf der Saison ja Problemchen, auch verletzungstechnisch.

110 m Hürden: Über die Hürden hat Sebrle durch seine Größe natürlich Vorteile, aber Clay macht die erneut durch seine Schnelligkeit wett. Also ist der Abstand von den 14,43 Sekunden für Clay zu den 14,71 Sekunden von Sebrle durchaus im Rahmen. Wobei man ganz klar sagen muss, dass die Zeiten durch den Regen durchweg schwach sind. Es gibt keinen, der unter 14 Sekunden gelaufen ist, das gab es in den letzten zehn Jahren nicht.

Diskuswurf: Über die 53,68 m von Clay kann man nur mit den Ohren schlackern. Er hält mit 55,87 m ja den Weltrekord für Zehnkämpfer. Ich war nur noch beeindruckt. Clay ist einfach ein Sprint-Wurf-Typ. Zwar ist Sebrle mit seinen 46,85 m auch richtig gut, aber mit Clay kann er nicht mithalten. Unbedingt erwähnen muss man die 46,13 m von André Niklaus. Bestweite. Es ist schön zu sehen, wie er immer besser in den Wettkampf findet.

Stabhochsprung: Mit 5,30 m haut Niklaus einen raus. Es zeichnet ihn aus, dass er sich auch von schlechten Bedingungen nicht irritieren lässt, sondern das springt, was er kann. 4,80 m von Sebrle und 4,90 m von Clay – nun ja. Wobei Clay durch seine nicht vorhandene Technik auffällt; was der da macht, ist ja eigentlich gar kein Stabhochsprung. Aber auch hier sieht man wieder: Schnell anlaufen, den Stab hoch anpacken, richtig einstechen – und boing, ist man oben.

Speerwurf: Also mit den 72,00 m von Clay hätte ich nie gerechnet. Das ist so weit, da sieht man ja den Speer nicht mehr. Dagegen sind die 63,21 m von Sebrle sehr enttäuschend. André Niklaus hingegen wirft mit 61,74 m auch mit dem Speer eine neue persönliche Bestleistung.

1.500 m: Dass Clay es hier ein bisschen gemütlicher angehen lässt und nur 5:03,77 Minuten läuft, darf man ihm nicht krumm nehmen, er hatte das Ding ja vorher schon gewonnen. Sebrle bleibt mit 4:39,54 Min. im Rahmen und hält sich damit wenigstens den Drittplatzierten Ungarn Attila Zsivoczyk vom Hals. Und André Niklaus zeigt mit seinen 4:28,93 Min., dass er eine richtige Kämpfernatur ist.

Fazit: Bryan Clay hat hier mit seinen 8.732 Punkten einen überragenden Wettkampf abgeliefert. Wenn er sich so weiterentwickelt, gehe ich davon aus, dass er nächstes Jahr als zweiter Zehnkämpfer nach Roman Sebrle die 9.000-Punkte-Marke knackt. Das wird der nächste Weltrekordler sein. Für André Niklaus sind die 8.316 Punkte nicht nur Bestleistung, sondern ein Riesenschritt nach vorn.

Aufgezeichnet von Frank Ketterer