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Thomas Mauch hört auf den Sound der Stadt

Mit dem Alter fängt man eben an, sich für Konzerte zu interessieren, bei denen man auch sitzen kann. Und das liegt gar nicht nur daran, dass es schon was Ödes haben kann, so lang auf einem Konzert herumzustehen zu müssen, bis es dann doch immer noch nicht angefangen hat, hey, Rock ’n’Roll.

Dabei geht das auch so: Ein Gong ruft in den Saal, und pünktlich zum versprochenen Konzertbeginn fängt das Konzert tatsächlich an – was einen länger gedienten Indierockkonzertgänger immer wieder aufs Neue verblüffen kann. Aber so ist das eben zum Beispiel beim Musikfest, bei dem noch bis 19. September die sogenannte E-Musik durchgespielt wird. Die ja gleichfalls richtig rocken kann. Am Wochenende tat sie das jedenfalls beim Musikfest mit dem Streicherstück „Shaar“ von Iannis Xenakis: eine prima Schleudertraumamusik, die – wenn sie wie hier von so einem Präzisionsorchester wie den Berliner Philharmonikern gespielt wird – schon die Ansage macht, dass es durchaus eine Drohung sein kann, wenn der Himmel voller Geigen hängt. Heavy Metal. Und gleich hinterher spielten sich die Philharmoniker lustvoll durch das tumultöse und breitbrustige „Amériques“ von Edgard Varèse aus den Zwanziger Jahren, das noch wirkungsvoller nur hätte sein können, wenn zu dieser musikalischen Stampede dazu ein echter Ozeandampfer nebelhorntrötend durch die Philharmonie geschippert wäre. Heavy Heavy Metal.

Aber auch abseits des Musikfests findet man einen Platz zum Sitzen, am Sonntag zum Beispiel im Heimathafen Neukölln (Karl-Marx-Str. 141, 19.30 Uhr, 15/10 €), wo das Projekt Arsenal of Democracy unter anderem über Minimal-Music-Schübe von Steve Reich und Julia Wolfe die Neue-Musik-Szene mit der des Jazz in Verbindung bringen will. Nichts weniger als Berlins erste Neue-Musik-Streetband will das bläserlastige Ensemble dabei sein, mit dem niederländischen Orkest De Volharding als Vorbild, das bis 2010 existierte und sich mit einer schmissigen Zwittermusik auf Demos notfalls genauso zurechtfinden konnte wie im Kammermusiksaal.

Gegründet wurde das Orkest De Volharding 1972 auf Veranlassung von Louis Andriessen, der nach einem Ensemble für seinen Agit-Prop-Minimalismus suchte. Sachen, die unbedingt für Rockhörende interessant sein müssen in ihrer druckvollen Intensität. Wobei Andriessen in neueren Werken aber durchaus auch eine Neigung zur samtenen Plüschigkeit und Travestie haben kann – wie es wiederum beim Musikfest zu hören war, das den niederländischen Komponisten zu seinem 80. Geburtstag würdigte.

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