SPD sucht nach Stimmen

AFFÄRE Hamburgs Sozialdemokraten wollen die verschwundenen Stimmzettel bei der Kandidatenkür 2007 erneut untersuchen. Parteirechter Johannes Kahrs will im Bundestag Pate des linken Kreises Nord werden

Olaf Scholz, designierter SPD-Parteichef in Hamburg, hat es versprochen, und er hält Wort. Die Affäre um verschwundene Stimmzettel bei der Urwahl des Spitzenkandidaten zur Bürgerschaftswahl im Februar vor zwei Jahren soll erneut untersucht werden. Darauf verständigte er sich am Mittwoch mit dem damaligen Parteichef Mathias Petersen. Der Rechtsanwalt und ehemalige Chef des SPD-Kreisverbandes Harburg, Harald Muras, soll bis Anfang Dezember einen Bericht vorlegen. Zu Stellungnahmen waren die drei Herren am Mittwoch nicht bereit.

Der Diebstahl von rund 950 Stimmzetteln hatte die Hamburger SPD in eine tiefe Krise gestürzt. Petersen, der sich nach inoffizieller Auszählung als Sieger der Abstimmung fühlte, verpasste die Spitzenkandidatur und musste auch als Vorsitzender zurücktreten. Neuer Spitzenkandidat wurde Michael Naumann, ansonsten Zeit-Herausgeber. Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft führten ebenso wenig zu einem Ergebnis wie Untersuchungen einer ersten parteiinternen Kommission.

Scholz, Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Hamburg-Altona und derzeit noch Bundesarbeitsminister, kandidiert auf einem Parteitag am 6. November als neuer Landesvorsitzender. Er will den erneuten Aufklärungsversuch starten, um innerparteiliche Gräben zuzuschütten.

Die Einbindung Muras’ ist ein kluger Schachzug: Der Alt-Linke hatte 2003 aus Protest gegen die Agenda-Politik von Bundeskanzler Gerhard Schröder, die Scholz immer verteidigt hat, alle Ämter niedergelegt. Während Muras als Scholz-Kritiker galt, hatte sein Kreisverband Harburg bei der innerparteilichen Kandidatenkür Petersen unterstützt.

Unterdessen sorgen Ambitionen des Hamburger Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs für Unruhe, sich als Pate des traditionell linken Kreises Hamburg-Nord anzubieten. Der Sprecher der SPD-Rechten im Bundestag wolle den Bundestagswahlkreis künftig in Berlin mitvertreten, munkeln entsetzte SPD-Linke. Der bisherige Abgeordnete Christian Carstensen hatte bei der Wahl am 27. September sein Mandat verloren. Kahrs nimmt sich damit den Nachbarkreis Eimsbüttel zum Vorbild: Den hatte sein Zögling Danial Ilkhanipour an die CDU abgeben müssen. Die örtliche SPD-Spitze einigte sich mit Scholz auf eine Kooperation.

„So direkt“ gebe es noch kein Angebot, sagt Nord-Kreischef Peter Tschentscher. Man müsse das „ganz entspannt besprechen“. Aber bestimmt „nicht mit der rechten Socke Kahrs“, protestiert ein anderer Sozialdemokrat aus dem Kreis. Mit Kahrs gebe es „nur Ärger“.

Womit Parteichef Scholz gleich noch einen SPD-internen Graben zuzuschütten hätte. SVEN-MICHAEL VEIT