Akrobat schwierig

TURN-WELTMEISTERSCHAFT Matthias Fahrig ist ganz anders als Fabian Hambüchen. Jetzt hat er bei den Titelkämpfen die Chance, aus dem Schatten des deutschen Vorturners zu treten

  Das Programm: Bei der Weltmeisterschaft in London steht heute der Mehrkampf der Männer auf dem Programm. Qualifiziert hat sich für diesen Wettkampf der Münchner Marcel Nguyen. Er erturnte im Vorkampf 84,900 Punkte an den sechs Geräten (Boden, Sprung, Seitpferd, Ringe, Barren, Reck) und musste lange auf den Einzug in das Finale der besten 24 hoffen. Am Ende lag er dann auf Rang 19. Morgen kämpfen die Turnerinnen um Mehrkampf-Gold. Am Wochenende finden die Geräte-Finals statt.

■  Die Verletzten: Reckweltmeister Fabian Hambüchen fehlt wegen einer Außenbandverletzung im linken Knöchel. Auch die deutsche Spitzenturnerin Oksana Chusovitina, 34, musste passen aufgrund einer Verletzung der Bizepssehne des rechten Armes. Ohne körperliche Handicaps gehen indes Kim Bui, Elisabeth Seitz – beide treten im Mehrkampf an –, Maike Roll und Anja Brinker, EM-Bronzemedaillengewinnerin am Stufenbarren, an den Start. (taz)

AUS LONDON SANDRA SCHMIDT

Matthias Fahrig liebt den Auftritt vor großem Publikum. In der Londoner Arena, einer 12.000 Zuschauer fassenden zeltähnlichen Halle, in der 2012 die olympischen sowie Turn- und Basketballwettbewerbe stattfinden werden, qualifizierte er sich für zwei Finalentscheidungen. Das ist für ihn ein großer Erfolg.

Im letzten von drei Durchgängen mit insgesamt über 240 Turnern stand er zunächst auf der Bodenfläche bereit. An diesem Gerät hatte Fahrig schon 2007 bei den kontinentalen Titelkämpfen Bronze gewonnen und in diesem Frühjahr Silber. Seine Darbietung am Dienstagabend war nach jener des Olympiasiegers Zou Khai aus China die schwierigste des gesamten Feldes. Die spektakuläre Angangsbahn, in der auf einen Vorwärtssalto mit doppelter Längsachsendrehung direkt einer mit doppelter Breitenachsendrehung folgt, gelang ebenso souverän wie die Vielzahl weiterer Höchstschwierigkeiten. Nachdem Fahrig nach der letzten akrobatischen Serie dem Kampfgericht mit einer Art kleinen Verbeugung das Ende seiner Übung signalisiert hatte, klatschte er kurz in die Hände und verbeugte sich vorm Publikum. „Ich bin superzufrieden,“ ließ der Hallenser mit kubanischem Vater kurz darauf wissen und lächelte sein einnehmendes Lächeln.

Sein Heimtrainer Uwe Ronneberg kommentierte knapp: „Das war nah am Optimum. Er hat sich hier teuer verkauft, und darum geht’s.“ Fahrig scheint die Auftritte im Rampenlicht leichter zu nehmen als viele seiner Kollegen. Jegliche Form der Verbissenheit scheint ihm fremd. Er nimmt es aber auch nicht mehr zu leicht. Seine turnerische Karriere ist nicht annähernd so geradlinig verlaufen wie jene des Fabian Hambüchen. 2007 hatte Bundestrainer Andreas Hirsch ihn vor der WM im eigenen Lande aus disziplinarischen Gründen aus dem Kader geworfen, die Olympischen Spiele musste er sich zu Hause im Fernsehen ansehen. „Ich hab vieles gelernt dabei, Prioritäten zu setzen, einzuschätzen, was wichtig ist und was unwichtig“, sagt er der taz. „Und ich habe gesehen, dass das Potenzial da ist und ich auch international konkurrenzfähig bin.“

Diese Erkenntnis hat ihn nach eigenen Aussagen bestärkt. Hirsch, dessen primäre Aufgabe als Cheftrainer es ist, für ein starkes Team zu sorgen, hat den hochbegabten Turner, der nach einer Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann nun beim Landessportbund Sachsen-Anhalt angestellt ist, wieder ins Team geholt, als nicht nur die Leistungen, sondern auch das Verhalten stimmte. „Das war eine starke Leistung, da freue ich mich persönlich für ihn“, kommentierte er Fahrigs Auftritt.

Fahrig selbst schätzte seine Darbietungen selbstkritisch ein: „Boden war nicht ganz optimal, bei den Thomas-Flanken habe ich schon noch Probleme gehabt“, bemerkte er mit Blick auf kleinere Haltungsfehler. Trotzdem war er der fünftbeste Bodenturner der Welt an diesem Abend und mutmaßt mit Blick auf das am Samstag stattfindende Finale der besten acht: „Wenn ich durchturne, dann werde ich nicht Achter und auch nicht Siebter.“ Noch offener wird der Wettbewerb am Sprung sein, wo die Qualifikation auch ohne den Olympiasieger Blanik hochklassig war. Fahrig, der mit einem sogenannten Dragulescu und einem Kasamatsu mit anderthalb Längsachsendrehungen nicht die schwierigsten Sprünge zeigte, nennt den Ausgang des Finales „ein russisches Roulette“ und freut sich auf den weiteren Einsatz, denn er ist ein Wettkampftyp. Er sagte noch, es sei „eine Riesenehre, zweimal unter den besten acht der Welt zu sein“. Er hat viel gelernt in der letzten Zeit, zum Beispiel, dass es manchmal besser ist, Demut statt Übermut zu zeigen.

Fahrig hat die Chance, jetzt, da Fabian Hambüchen nicht dabei ist, zum ersten Mal seit 2003 in den Mittelpunkt zu rücken. Das Feld ist frei für die zweite Reihe. Fahrig sagt aber auch hier das Richtige: „Es ist sehr sehr schade, dass Fabi raus ist, er ist ein großer Konkurrent für mich!“