Hoher Preis für sozialen Frieden

Sicherheit für alle Gefangenen oder bestmögliches soziales Lernen – beim Bau der Jugendstrafanstalt Billwerder kreisen die ExpertInnen um diesen Zielkonflikt

Nicht so wohnlich: Innenhof des geplanten Knastes Foto: agn Niederberghaus & Partner

Von Marco Carini

Wenig Gewalt unter den Häftlingen oder optimale Resozialisierung? Dass dies ein Spannungsfeld sein könnte, wurde am Dienstagnachmittag bei der ExpertInnenanhörung des bürgerschaftlichen Justizausschusses zur geplanten neuen Jugendvollzugsanstalt Billwerder deutlich. Justizsenator Till Steffen (Grüne) musste einige Kritik für das Konzept des neuen Kinderknastes einstecken. Der soll voraussichtlich 2026 oder 2027 auf einer Fläche von gut 23.000 Quadratmetern in Betrieb genommen werden und bis zu 238 gefangenen Jugendlichen Platz bieten – 200 im geschlossenen, 18 im offenen Vollzug und 20 im Jugendarrest. Geplante Gesamtkosten des Neubaus: Knapp 165 Millionen Euro.

Für Till Steffen wird die Justizvollzugsanstalt „die modernste Jugendanstalt Deutschlands“ werden. Um Gewalt unter den Insassen zu verhindern, sollen „alle Bereiche, in denen sich Gefangene regelmäßig aufhalten, möglichst einsehbar und übersichtlich“ sein, „um das Entstehen von Subkulturen“ und unbeobachtete Kontakte zwischen Gefangenen einzudämmen. Geplant ist deshalb ein v-förmiger Bau, in dem die Gefangenen in Wohngruppen organisiert werden und in welchem auch diverse Werkstätten untergebracht sind.

Die Leiterin der Jugendanstalt Schleswig, Anne Damberg und auch Christiane Jesse, Mitarbeiterin des Niedersächsischen Justizministeriums begrüßten, dass „die Gewaltprävention die allerhöchste Priorität“ bei der architektonischen Ausgestaltung des Gefängniskomplexes habe. Ein „gewaltarmes Klima ist die Grundvoraussetzung für soziales Lernen und Resozialisierung“, betonte Jesse. Der Neubau sei „übersichtlich“ und erfülle, so Damberg „alle Anforderungen eines modernen Jugendvollzuges“.

Bernd Maelicke, Gründungs-Direktor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft (DISW) in Lüneburg und Mitglied des unabhängigen, zwanzigköpfigen Projektbeirates, der der Justizbehörde bei den Planungen beratend zur Seite steht, kritisiert die Intransparenz des Ausschreibungsverfahrens. Andere Entwürfe seien einfach „unter den Tisch gefallen“. Der bauliche Charakter der geplanten Anstalt sei nun „extrem verdichtet“ und „ungeeignet für den Jugendvollzug“. Ein Dorf-Modell, bestehend aus mehreren kleineren Gebäuden, sei für das Zusammenleben der straffällig gewordenen Heranwachsenden sinnvoller. Mae­licke forderte Steffen auf, seine Planungen zu überdenken.

„Ein gewaltarmes Klima ist die Voraussetzung für soziales Lernen und Resozialisierung“

Christiane Jesse, Niedersächsisches Justizministerium

Das wünscht sich auch die Architektin und Kriminologin Andrea Seelich. Sie schickte nur eine Stellungnahme aus Prag, da ihr für ihre Expertise und ihre Reise nach Hamburg lediglich 130 Euro Aufwandsentschädigung in Aussicht gestellt worden waren. Als Selbstständige könne sie sich das nicht leisten. In ihrer Stellungnahme zeigte sich Seelich über die Planungen „verwundert“, da der Anstaltsbau nur „eine Kopie“ der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen, eines „Hochsicherheitsgefängnisses für Erwachsene“ sei.

Der Jugendvollzug, der vor allem „den Jugendlichen ein positives Selbstbild des In-der-Welt-sein vermitteln“ müsse, folge aber „ganz anderen Gesetzmäßigkeiten“ als der Erwachsenenvollzug. Es sei unverständlich, dass in den Planungen „von einem für den Jugendvollzug bewährten Dorfcharakter Abstand genommen“ wurde und stattdessen ein Komplex geplant sei, der „dem Verwahrvollzug entgegenkommt“.

Ob die Kritik noch eine Änderung der Baupläne zur Folge hat, darf bezweifelt werden. Im vergangenen Jahr hatte der rot-grüne Senat sich mit der CDU und der FDP darauf geeinigt, im Rahmen des „Justizvollzugsfriedens“ die derzeitige Jugendvollzugsanstalt Hahnöfersand nicht grundlegend zu sanieren, sondern zu schließen und durch einen Neubau zu ersetzen.