SPORTPLATZ
: Flickflack statt Fußball

FIT 70.000 Gäste proben beim 18. Kinder- und Jugendsportfest einmal weniger gewöhnliche Sportarten

Blau gegen Rot, das Vorspiel: Auf einem Kleinfeldplatz probt ein Mixed Team aus Hertha-Fans mit zwei Union-Kids schon mal den Ernstfall – hier siegen die Roten. Einige Meter weiter führen derweil die Spandauer Turnerinnen Nadja und Christin Flickflacks vor. „Gleich geht’s auf die Tumblingbahn“, sagt die 16-jährige Nadja, „dann kommen die Salti.“ Gegenüber auf dem Grün klettert ein Mädchen auf elf übereinandergestapelten Cola-Kisten. „Das ist Rekord heute“, sagt sie stolz. Und wieder ein paar Meter weiter versucht sich ein Geschwisterpaar im Würfelfußball – ein Schaumstoffwürfel muss in einen Korb. „Das ist verdammt schwer“, sagen beide. Dann aber: Treffer. Sechs Punkte.

Im Olympiapark fand am Samstag Berlins größtes Kinder- und Jugendsportfest statt. Die etwa 70.000 Besucher, die den gesamten Tag über kamen, konnten sich an traditionellen Sportarten wie Hockey und Volleyball genauso versuchen wie am Speedminton, Skaten oder Jugger, einer Art Mixtur aus Rugby, Fechten und Handball. An insgesamt 100 Ständen präsentierten sich Berliner Sportvereine, Sportgruppen und Spitzensportler. Neben den Hertha-, Union- und Alba-Profis war einen Tag vor dem Istaf etwa auch die Siebenkampf-Silbermedaillengewinnerin von London, Lilli Schwarzkopf, zu Gast.

Es ging um mehr als bloße Unterhaltung für die Kids. Der „Tag des Breitensports“ brachte auch die verschiedenen Sportarten und Disziplinen zusammen, die großen Klubs (Hertha, Union, Alba, Füchse, Eisbären, Volleys) waren auf einem Platz vereint. Der jüngst oft geäußerten Kritik, Kinder und Jugendliche würden zu früh zu einseitig im Sport trainiert, kann man auch mit einer solch interdisziplinären Veranstaltung begegnen – zumindest könnte es ein erster Schritt sein. Auch dass der Fußball einmal nicht im Zentrum des Interesses stand, dürfte etwa die Tanzsportgruppen oder den Berliner Turnerbund (BTB) gefreut haben.

Nadja und Christin sind dabei schon fast professionell in ihren Turnübungen: „Wir haben oft Auftritte“, sagen die beiden Mädchen vom TSV Spandau, „wir standen auch schon im Abgeordnetenhaus auf der Bühne.“ Beide tragen ein extra für das Sportfestival gedrucktes Shirt. Die Koordinatorin des BTB, Nicole Greßner, freut sich über die Möglichkeit, die Gruppen zu präsentieren: „Wir sind der zweitgrößte Verband in Berlin, da will man auch so wahrgenommen werden“, sagt sie. Die Turnergruppen kommen aus sieben Vereinen des BTB. Sie führen nicht nur Übungen am Seitpferd oder Pilz vor, sondern bringen auch Hip-Hop- und Performancetänze zur Aufführung. Die sind beim Publikum besonders beliebt. Auch vor der Tanztheaterbühne, die in Nähe des Hockeystadions aufgebaut ist, versammelt sich eine große Menge.

Familien mit Hemmschwelle

Für Anton Kühn und das durch den Deutschen Olympischen Sportbund initiierte Programms „Integration durch Sport“ dient der Tag auch dazu, sein Projekt einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. „Eigentlich gehen wir in die Schulen und bilden dort spezielle Mädchenfußballgruppen“, sagt Kühn, Regionalkoordinator des Programms. Jugendlichen Mädchen aus verschiedensten Kulturkreisen das Fußballspielen zu ermöglichen, ist ein Hauptanliegen. „Wir erleben es etwa immer noch, dass es eine Hemmschwelle in Familien mit muslimischem Hintergrund gibt, Mädchen Fußball spielen zu lassen.“ Heute steht Köhn vor seinem Stand mit einem Geschwindigkeitsmesser. Nachwuchsfußballer und -fußballerinnen können hier messen, welche Geschwindigkeit ihr Schuss hat. 53 Stundenkilometer schafft gerade ein kleiner Junge. Er jubelt.

Viel los ist auch da, wo sich Herthino, Ritter Keule, Bully, Albatros und Fuchsi, die Maskottchen der großen Berliner Vereine, tummeln. Erinnerungsfotos mit den großen Freunden aus Fell sind bei den Jugendlichen beliebt. Auf diesem Feld gibt es Torwände in allen Facetten, bei den Füchsen kann man auf die löcherne Zielscheibe werfen, bei Union schießen, und bei den Eisbären soll man den Puck möglichst exakt schlenzen.

Und bis man dann den Rest, etwa die 20 Speedmintonfelder, die Leichtathletikdisziplinen, den Inliner- oder BMX-Kurs oder die Kletterwand abgegrast hatte, bis man auch beim Rugby, Baseball und Bogenschießen war und zwischendurch noch das Sportabzeichen gemacht hatte, bis dahin war es Abend geworden und auch die letzten Flickflacks waren geschlagen. JENS UTHOFF