berliner szenen: Russische Lotterie mit Balalaika
Seit Kurzem erhält mein Freund Chris Einladungen in den kleinen Saal der Philharmonie. Eine Viertelstunde vor Konzertbeginn treffe ich im hinteren Eingangsbereich ein. Wie vereinbart. Voller Erwartung auf den russischen Konzertabend suche ich nach meinem Begleiter. Der Raum ist zum Bersten voll, überall reges Säuseln und Palatallaute. Von meinem überpünktlichen Freund keine Spur. Neben mir brüllt ein Mann mittleren Alters in sein Telefon: „Ich bin da, wo die Tickets abgerissen werden!“ Ich spreche den Satz in mein Smartphone und schicke ihn Chris. Sieben vor. Nach vier langen Minuten die Antwort: „Karten am Schalter“.
Es gibt drei Schalter. Zum Glück keine ellenlangen Schlangen mehr. Nach einem missglückten Versuch am Hauptschalter gehe ich zu einem Tisch mit ‚A-M‘ und ‚N-Z‘ beschrifteten Kartons. Die Mädchen packen schon ein. Ich erkläre ihnen mein Dilemma und nenne den slawischen Nachnamen meines abwesenden Gastgebers. Mein Gegenüber ist mit der Konsonantenmenge überfordert und reicht mir ein beliebiges Ticket.
Knapp vor Konzertbeginn tippe ich Chris eine genervte Nachricht mit der Angabe meines Platzes: E/3/11. Die Bezeichnung ‚Ehrenkarte‘ auf meinem Ticket besänftigt mein Gemüt ein wenig. Nach dem Konzert wollen wir uns beim Ausgang treffen. Ich warte. Und warte. Und warte. Bis der Raum so gut wie leer ist. Und Chris auf einmal von außen reinkommt.
„Du hast die ganze Zeit draußen gestanden?“ Chris erklärt mir, im Eingangsbereich des Kammermusiksaales auf mich gewartet zu haben. Ich hingegen sitze hier beim Eingang zum großen Saal. „Kann nicht sein, hier war doch Tschaikowsky …“ – „Und bei uns Balalaika!“ Ich fange an zu lachen. „Es kommt noch besser.“ Chris zeigt mir seine Eintrittskarte: Platznummer E/3/10.
Emmi K.
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