„Videoüberwachung ist Terror“

Die beiden Organisatoren des Big Brother Awards, Rena Tangens und padeluun vom Verein FoeBuD im taz-Interview über ihre Arbeit zum Schutz der Privatsphäre und warum die Bestellung von Büchern bei Amazon negative Auswirkungen auf die Kultur unserer Gesellschaft hat

INTERVIEW VONELMAR KOK

taz: Der Big Brother Award wird in diesem Jahr in Deutschland zum sechsten Mal verliehen. Hat sich das Interesse der Bürger für den Umgang mit ihren Daten in der vergangenen Zeit verändert?

FoeBuD: Immer mehr Menschen entdecken, dass Datenschutz wichtig ist. Sie begreifen, was mit den hinterlassenen Daten mittlerweile machbar ist. Immer mehr Menschen wollen sich gegen die Übergriffe von Firmen und Staat in ihre Privatsphäre wehren. Viele Menschen merken, wenn Innenminister Otto Schily Unsinn über die Notwendigkeit biometrischer Daten in Pässen erzählt. Nicht alles, was sich juristisch in eine Demokratie einstellen lässt, ist demokratisch.

Welche Motivation steckt dahinter?

Zunächst einmal ist die Herstellung von Pässen mit biometrischen Kennzeichen ein riesiger Markt. Wenn die USA nun von den Deutschen bei der Einreise VISA von uns verlangt, die biometrische Kennzeichen tragen und wir diese direkt liefern können, ist das auch ein Wirtschaftsfaktor. Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass auch ansonsten Desinteressierte das wahrnehmen.

Wie ist denn das Datenschutzbewusstsein in der Gesellschaft verankert?

Es ist eigentlich eine Schere mit drei Klingen. Zum einen gibt es die Leute, die nichts begriffen haben. Dann gibt es die Menschen, die es stört, dass Fremde Einblick auf ihr Konto haben, die mit dem Porsche durch die Gegend fahren und deren Recht auf Datenschutz nicht so massiv beeinträchtigt wird, wie der dritten Gruppe, die sich beispielsweise auch noch mit der Videoüberwachung an Bahn- und U-Bahnhöfen auseinander setzen muss.

Nach den Anschlägen in London haben sich viele Innenpolitiker für eine Ausweitung der Videoüberwachung in Deutschland ausgesprochen.

Die Londoner Anschläge zeigen, dass in einem solchen Fall durch die Videoüberwachung nur eine nachträgliche Dokumentation möglich ist. Wie übrigens in jedem Fall, in dem Menschen handeln, denen alles egal ist. Das betrifft den Selbstmordattentäter ebenso, wie den Junkie, der sich unbedingt seinen nächsten Schuss setzen muss. Dem ist es auch egal, ob er dabei gefilmt wird, oder nicht. Videoüberwachung erfüllt übrigens auch die Definition von Terror. Du weißt nie, wo dich die nächste Kamera erwischt.

Wird sich durch die CDU-FDP-Regierung in NRW und durch mögliche Neuwahlen im September die Arbeit des Vereins FoeBuD ändern?

Höchstens graduell. Wir haben festgestellt, dass Politiker nie für uns nützlich waren. Wir kennen den neuen Innenminister, Herrn Wolf von der FDP gar nicht, der neue Ministerpräsident Rüttgers hat sich einmal auf der CeBit zu uns an den Stand gesetzt und gesagt „schreiben sie mir, schreiben sie mir“, allerdings haben wir danach nichts mehr von ihm gehört. Solche Kontakte wurden immer nur für die eigene PR genutzt. Die Expo 2000 in Hannover wurde beispielsweise von der Politik als Chance für ein Nachdenken über die geistige Ausrichtung innerhalb der Gesellschaft total vertan.

Inwiefern?

Weil sie es nicht verhindert hat, dass wir als Nutzer des Internet in Werbe-Mails ertrinken sondern dazu geführt hat, dass wir Jamba-Klingelton-Abos an Kinder mit Handys verkaufen. Zudem führt die aktuelle Entwicklung dazu, dass wir bald den gesamten Mittelstand abgeschafft haben. Das wird ein kulturelles Problem.

Das heißt, eine Buchbestellung bei Amazon ist ein Akt von Kulturverweigerung?

Zumindest sorgt es dafür, dass es den Buchhändler um die Ecke bald nicht mehr gibt. Wenn es nur noch den Weg vom Erzeuger zum Kunden gibt, ist das eine fatale Entwicklung. Denn Geld ist nicht nur ein System, damit das System funktioniert, muss Geld fließen.

Aber Amazon kann mich doch auch beraten. Immerhin bekomme ich aufgrund meiner bisherigen Käufe Empfehlungen. Nichts anderes versucht mein Buchhändler um die Ecke auch.

Das, was dort passiert ist andauernder Betrug. Bei meinem Buchhändler weiß ich, was er über mich weiß und ich weiß etwas über ihn. Über Amazon weiß ich so gut wie nichts und schon gar nicht, welche Daten der Versender von mir in seinem technischen System hat. Denn die Daten halten Agenturen wie Creditreform oder Bürkle ja gegen Geld für ihn bereit.

Ist der Kampf gegen die staatliche Überwachung und gegen die Datensammelwut nicht aussichtslos?

Wir stellen fest, dass bei jungen Leuten Resignation überhaupt nicht angesagt ist. Viele junge Menschen arbeiten kostenlos für den Verein und für den Big Brother Award. Obwohl oder gerade weil mit dem Abbau des Sozialstaates auch der Abbau des Datenschutzes einhergeht, haben wir auch ALG-II-Empfänger, die ehrenamtlich bei uns arbeiten. Es gibt sehr viele Genies, die Hartz IV geschädigt sind. Wenn die 20 Euro für FoeBuD spenden, geht einem das Herz auf.

Das heißt, von Politikverdrossenheit keine Spur?

Wenn es eine junge moderne Partei gäbe, wären die Menschen auch bereit sich in ihr zu engagieren. Statt vielleicht bei der nächsten Wahl wieder mit Bauchschmerzen Grün zu wählen, aber dort nicht mitzugestalten, weil dort Menschen sitzen, die über das Vehikel der Partei etwas erreichen wollen. Die Grünen haben Fehler gemacht, die sie daran gehindert haben, als soziale Bewegung an Bedeutung zu gewinnen.

Welche?

Die Zustimmung zum Polizeigesetz in der rot-grünen Landesregierung. Das ist eigentlich nicht verhandelbar gewesen und eine große Mehrheit der Landesdelegierten hat sich gegen das Gesetz, das auch die Videoüberwachung neu regelte, ausgesprochen. Die Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag hat sich einfach darüber hinweggesetzt. Das zeugt von einem Mangel an Rückgrat und mangelnder Einsicht. Das führt dazu, dass junge Menschen sich politisch anders engagieren, beispielsweise zu Attac gehen, oder eben ehrenamtlich bei uns arbeiten.

Welche Überwachungsvergehen und Verstöße gegen den Datenschutz kommen durch die Arbeit von FoeBuD an die Öffentlichkeit?

Was wir mit dem Big Brother Award öffentlich machen können, ist nur die Spitze des Eisbergs. Um deutlich zu machen, welche Daten beispielsweise schon längst auf dem grauen Markt gehandelt werden, wie Datenschützer vermuten, müssten wir viel mehr Arbeit in die Recherche investieren können. Angeblich lassen sich ja schon Abos über den gesamten Telefonverkehr von Unternehmen abschließen.

Wenn sie die gesamte, ehrenamtliche Arbeit bezahlen müssten, was kostet der Big Brother Award den Verein dann?

Wenn wir alle Mitarbeiter bezahlen müssten, kämen wir auf 1, 5 Millionen Euro.

www.foebud.org