„Die wollen uns hier vertreiben“

Nachbarschaftsstreit endet mit Verletztem. Der nennt sich „nicht ausländerfeindlich“ – und klopft derbe Sprüche vor Gericht

bremen taz ■ Ein ganz normales Haus in Osterholz: Acht Parteien, drei Deutsche, der Rest Ausländer. Frühere Mieter haben ihre Wohnungen gekauft, zahlen monatlich Raten ab. Man beobachtet sich, versucht miteinander auszukommen. So erzählt es Horst W. (65), dem das mit dem Besitzer der Wohnung über ihm nicht gelungen ist. Dort wohnt Niyazi T., fünf Jahre jünger mit Frau und Kind, der während eines Streits auf seinen Nachbarn eingestochen hat. Amtsrichter Günter Schulz stellt das Verfahren gegen den seit 30 Jahren in Deutschland lebenden Türken gegen die Zahlung einer Geldbuße von 2.000 Euro ein. „Wir wollen den Hausfrieden nicht unnötig weiter in Unordnung bringen“, so der Richter. Denn die beiden Parteien werden weiter in einem Haus wohnen müssen. Keiner kann es sich leisten, auszuziehen.

Es ist schon ein merkwürdiges Bild, das sich an jenem Morgen dem Betrachter im Gerichtssaal bietet: Auf der Anklagebank der Türke, der seit Jahren an Parkinson leidet. Stumm verfolgt er die Verhandlung, ein Dolmetscher übersetzt. Im Zeugenstand sein kräftiger Nachbar, mit Kettchen am Arm und Aktenkoffer in der Hand. Er erzählt: Schon beim Einzug sei die Familie „unverschämt laut“ gewesen, Besuch habe bis nachts um halb drei getagt. Er habe wiederholt geklingelt, an die Tür geschlagen und gerufen, dass die Familie leiser sein solle, er müsse früh aufstehen, um seinen Job als Fahrer von Behinderten ausüben zu können. Doch die Türken hätten ihn nur beleidigt. 21 Anzeigen habe er bei der Polizei erstattet.

An einem Vormittag im November 2003 habe er sich den Nachbarn „gegriffen“ und ihn beschimpft. „Ich habe den Streit angefangen“, sagt Horst W. Er habe gesagt, sein Nachbar sei ein Trottel, der sich gegen seine Familie nicht durchsetzen könne. Eine Formulierung, die Niyazi T. offenbar aus der Fassung brachte.

Als er gemerkt habe, dass Argumente nichts brächten, sei er gegangen, erklärt Horst W. Dann habe er einen brennenden Schmerz am Oberschenkel gefühlt, sich umgedreht und den parkinsonkranken Türken mit einem „Messer in seiner zittrigen Hand“ gesehen. Er habe sich nicht „abstechen“ lassen wollen, so W. und habe seinen Nachbarn mit Faustschlägen traktiert bis dieser das Messer fallen gelassen und zu Boden gegangen sei.

Niyazi T. ließ hingegen in einer Erklärung, die sein Anwalt verlas, mitteilen, dass der Deutsche ihn angegriffen, zu Boden gestreckt und auf ihn eingeschlagen habe. Er habe daraufhin das Messer aus der Tasche gezogen und „zu seinem Schutz, aus der Not“ den Mann gestochen. Hätte er das nicht gemacht, wäre die Sache vermutlich anders ausgegangen, so der Anwalt.

Für den Zeugen eine Lüge. Man müsse wissen, dass die Ausländer in seinem Haus, die Deutschen „alle vertreiben“ wollten. Er sei ja kein Ausländerfeind, aber man wisse ja, dass die türkischen Kinder, sich mit Baseballschlägern und Pistolen bewaffneten. Sätze, die den Anwalt des Beklagten fast aus der Fassung brachten: „Unglaublich, was man in einem Gerichtssaal alles sagen darf.“

Nach der Tat im November vor fast zwei Jahren sei es ruhiger im Haus geworden, versichern beide Parteien. Man gehe sich aus dem Weg. Der Deutsche will den Türken noch auf Schmerzensgeld verklagen. Unklar bleibt, ob je der Hausfrieden wieder Einzug halten wird. ky