Irgendwie geht alles

Disparates Scherbengericht: Die ungarische Regie-Hoffnung Árpád Schilling inszeniert eine postmoderne „Phaidra“ bei den Salzburger Festspielen. Zweisprachig, kalt und doch albern

VON SABINE LEUCHT

Es gibt Gerichte, die hat man zwar mit Muße gegessen und auch schon hinlänglich verdaut, und doch kann man noch immer nicht über ihren Geschmack urteilen. Frisch war das Ganze angerichtet, übersichtlich und klar, dazu deftig gewürzt mit Massen von Kräutern, wie man sie noch nie in dieser Mischung genossen hat. Aber passten sie auch wirklich zusammen? Dieser kulinarische Einstieg in die Besprechung von Árpád Schillings und István Tasnádis „Phaidra“ ist keine Attitüde, er nimmt nur den Faden wieder auf, den König Theseus im ehemaligen Kino „Republic“ fallen gelassen hat, wo der Neuzuschnitt des ewigen Tragödienstoffes bei den Salzburger Festspielen auf die Bühne kam.

„Jetzt aber lasst uns essen“, sagt Theseus da als allerletzten Satz. Ein König, der noch nicht lange aus drei Jahren Koma erwacht ist, dafür aber gleich kräftig mit Bassstimme herum-opert – und rasch für Ordnung sorgt. Statt des aufrechten Werkzeugs, mit dem er die untreue Phaidra hat „bestrafen“ wollen, konnte er nur einen schlappen Schlauch aus der Hose ziehen. Und das vor aller Augen. So war es dann letztlich gleich, wer auf wessen Ansinnen hin die Gattin beschlafen hatte: „Ein junger Weißer“ (sein Sohn Hippolytos) und „ein fetter Schwarzer“ (Weiberheld „Ich- füll dich aus“-Sauros) mussten sterben. Hahn Theseus hat sich in den Korb zurück gemordet und sitzt am Ende auf dem hellen Designersofa zwischen den Frauen seines Reichs: Hände auf jungen Schenkeln, Selbstzufriedenheit im alten Gesicht: Patriarchendämmerung! Prost Mahlzeit!

Dder 31-jährige Árpád Schilling wird derzeit nicht nur europaweit herumgereicht, sondern hat auch wirklich was zu geben. 1994 hat er in Budapest das „Szinház Krétakör“ gegründet, die mittlerweile 40-köpfige freie „Kompanie Kreidekreis“. Wobei der Name, wie der scheu wirkende Ungar sagt, weniger mit Brecht zu tun habe denn mit der Vorstellung von einem provisorischen Rund, in dem sich ein Geschehen eine Zeit lang fokussieren lässt, bis seine Konturen wieder verwischen. Theater darf für Schilling ruhig vergänglich sein, doch so lange es dauert, nehmen seine Schauspieler die Zuschauer fest ins Visier und versuchen jene spezielle Direktheit herzustellen, die das Krétakör auszeichnet.

So der Schauspieler Tilo Werner, der sogar die Berliner Schaubühne verlassen hat, um mit den Ungarn gemeinsame Sache zu machen. Schilling selbst sagt gern, dass er keinen eigenen Stil habe und es ihm im Theater darum gehe, Kräfte und Energie jedes einzelnen Schauspielers zu nutzen. Eine intensive Disparatheit ist es wohl, die seine Arbeiten dominiert. Schilling hat Wenedikt Jerofejews „Walpurgisnacht“ an der Schaubühne und einen „Hamlet“ am Wiener Burgtheater inszeniert, der einige sehr ergriffen hat. Und das, obwohl er kein Deutsch (und kein Englisch) spricht. Sein Gespür für die fremde Sprache, die er neun Jahre lang gelernt hat, müsse wohl irgendwo überdauert haben, sagt er.

Wenn die jetzt in Salzburg uraufgeführte zweisprachige „Phaidra“ Ende des Monats in Zürich und im Herbst bei den Koproduzenten Sophiensäle Berlin und Staatstheater Stuttgart zu sehen sein wird, wird man das spüren, sich aber auch über die kühle Laboratmosphäre wundern, über das Ungeschminkte vieler Situationen – und andererseits über den Bombast in der Musik und den Versen. Der Komponist Albert Márkos, der auch live auf der Bühne Cello spielt, hat Tasnádis Tragödien-Bearbeitung als postmodern eingestuft, weswegen er für den schrillen Dreimäderl-Chor und die Solisten Punk-, Pop-, Jazz- und Opernpassagen kreiert hat. Und auch für Stil und Themen gilt: Anything goes.

Doch so, wie der Hase hier läuft, schlägt er zwar Haken auf Teufel komm raus, hält dabei aber immer die Spur. Sinkende Aktienkurse und die Luftabwehr, ein Opfer für Poseidon hier, das Rentenproblem und die Sterbehilfe da; unter dem Strich ist alles eins: Kalt, zynisch und nur aufs Mechanische fixiert ist der Mensch. Seinen Vorgängern von Euripides über Racine bis hin zu Sarah Kane ähnelt das Stück nur in zwei Punkten: Phaidra liebt ihren Stiefsohn und wird von ihm zurückgewiesen. Und: Die Königin sinnt auf Rache. Doch schon ihr Selbstmord bleibt ihr verwehrt. Und zwar durchaus folgerichtig: Denn hier bestimmen die Männer. Und sie giggeln sich richtig ein, wenn ihnen ein Kalauer einfällt wie jener zum Thema Menopause, die Mann natürlich nicht hat: „Unsere Prostata ist schließlich nicht so ein faules Ding wie euer Eierstock.“

Zuvor hatte Tilo Werner, der hier als Arzt-Freund-Anlageberater meistens beiseite steht und ab und an die Nadel über den Plattenteller scratchen lässt, dem Publikum an Phaidras Statt einen freundlich intonierten Fernsehstudio-Vortrag gehalten über „aufgezehrte Follikelchen“ und Phyto-Östrogene. Werner ist der epische Brocken in dieser bunt gewürzten Suppe. Selbst sein ausführliches Giggeln ist episch und hält den größtmöglichen Abstand ein zu allem – den größten vielleicht zum wirklichen Amüsement.

So kann man sich die Rollen sortieren: Theseus (István Rácz) kann nur plakativ und Oper, die ungarisch sprechende Phaidra der Dorottya Udvaros geht einem mit ungekünstelten Realismus nahe. Und Christophe Gawenda als Hippolyt betrachtet angewidert und nölig „die Aminosäuren, die ich jeden Tag aus mir herauslassen muss“.

Disparatheit allenthalben. Manches hat tatsächlich geschmeckt.