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Bedrohte Arten

Der Tag der freien Schulen in Berlin widmet sich 2019 der Biologie. Nicht nur hierbei gehen die privaten Einrichtungen neue Wege

„Leben ist Vielfalt“: Das gilt es persönlich zu erfahren Foto: Alamy/Mint Images/mauritius images

Von Katja-Barbara Heine

Farn und Klatschmohn ranken ins Bild, ein Laubfrosch sitzt auf einem Zweig, Schmetterlinge flattern umher: Das Plakat, das den diesjährigen Tag der freien Schulen ankündigt, ist farbenfroh und versprüht Sehnsucht nach einer heilen Welt. Das Motto der Veranstaltung im September lautet „Leben ist Vielfalt“, im Mittelpunkt steht das Schulfach Biologie und als Schirmherr fungiert Thomas Borsch, Direktor des Botanischen Gartens in Berlin.

Ist es Zufall, dass dieses Thema gewählt wurde, in einem Jahr, in dem Schüler an den Fridays for Future europaweit den Unterricht schwänzen, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen? Ja und nein: „Bei der Informationsveranstaltung steht seit 2003 jedes Jahr ein Schulfach im Fokus“, sagt Andreas Wegener, Vorsitzender des Berliner Verbandes Deutscher Privatschulen. „Mit der Biologie haben wir uns ein Fach aufgehoben, das derzeit viele junge Menschen beschäftigt. Klimawandel und Artensterben sind in aller Munde, es passt also einfach.“

Außerdem seien die freien Schulen in gewisser Weise selbst eine bedrohte Spezies, so Andreas Wegener. Denn obwohl ihre Zahl steigt und mittlerweile jeder zehnte Schüler in Berlin an einer Privatschule lernt, haben diese es, im Vergleich zu staatlichen Schulen, nach wie vor schwer. „Freie Schulen werden häufig nicht ernst genommen und müssen sich immer wieder hinten anstellen, beispielsweise bei der Lehrerfortbildung“, so Andreas Wegener.

Das Veranstaltungsmotto griff schon häufiger aktuelle Herausforderungen auf, vor denen Schulen stehen: 2014 ging es um die Digitalisierung – mit dem Slogan „Wir sind vernetzt“ und dem Schulfach IT/EDV/Medien als Schwerpunkt. Letztes Jahr drehte sich alles um Religion und Ethik und die wachsende kulturelle Diversität in den Klassenzimmern. Die Bezeichnung „Tag der freien Schulen“ ist irreführend, genau genommen handelt es sich um mehrere Tage und Termine (siehe Wegweiser), darunter ein „Bildungsmarkt“ mit Informationsständen, eine Gala mit Theaterdarbietung, eine Podiumsdiskussion und Tage der offenen Tür, an denen Eltern und Schüler in den Unterricht hineinschnuppern können. Die Biologie zieht sich als roter Faden durch das gesamte Programm.

Allein schon bei der Umsetzung dieses Faches wird deutlich, wie groß die Bandbreite bei den freien Schulen ist und wie unterschiedlich sie arbeiten. Ob reformpädagogisch, konfessionell oder international – hinter einer freien Schule steht immer ein pädagogisches Konzept oder eine Anschauung. Im Waldorf-Lehrplan etwa ist die ökologische Erziehung seit 100 Jahren fest verankert, einmal pro Woche geht es in den Schulgarten Unkraut jäten, Hühner füttern, Möhren ernten. Kinder werden spielerisch an die Natur herangeführt – neuerdings schon früher, denn „sind die Kinder erst mal mit der Digitalisierung in Berührung gekommen, wird es immer schwieriger, sie für die Natur zu begeistern“, sagt Andreas Palzer, Lehrer an der Waldorfschule Berlin Mitte. Seit letztem Jahr hat jede Waldorf­einrichtung einen eigenen Bienenstock.

Die Montessori-Pädagogik vermittelt die Biologie unter dem Begriff „Kosmische Erziehung“ in einem ganzheitlichen Zusammenhang. Anstatt sie als isoliertes Schulfach zu behandeln, werden immer wieder Bezüge zu anderen Bereichen, etwa Geschichte oder Geografie, hergestellt. Kinder sollen früh praktische Erfahrungen sammeln, zum Beispiel indem sie einen Fisch sezieren.

Was machen Schulen in freier Trägerschaft anders als staatliche Schulen? Wie hoch ist das Schulgeld? Können auch Atheisten eine konfessionelle Schule besuchen? Welche Abschlüsse gibt es? – Diese und viele weitere Informationen gibt es auf dem Tag der freien Schulen, an dem rund 80 der 145 Berliner Privatschulen sich der Öffentlichkeit vorstellen.

So., 8. 9.: Bildungsmarkt in der Französischen Friedrichstadtkirche, 14 bis 17 Uhr

So., 22. 9.: Gala im Deutschen Theater, 11 Uhr

Im September/Oktober öffnen freie Schulen ihre Häuser und bieten Besuchern Einblicke in ihre Arbeit.

www.freie-schulen-berlin.de > Tag der freien Schulen

Auch die 2017 gegründete Naturschule am Brosepark in Pankow stützt sich auf die Lehren Maria Montessoris. Vor allem aber ist der Name Programm: Die aus dem Waldkindergarten Robin Hood hervorgegangene Einrichtung möchte auch im Schulalltag die Verbindung zur Natur beibehalten. „Kinder ruhen sehr viel mehr in sich selbst, wenn sie draußen sind“, sagt Schul-Mitbegründerin Christa Baule. Einen Tag pro Woche findet der Unterricht im Freien statt, im Winter in einer Jurte mit Lagerfeuer. Alle Mahlzeiten werden draußen eingenommen. Und im Biologieunterricht schlüpfen die Kinder im Wald schon mal in die Rolle eines Rehs und lecken Birkenblätter ab. „Wir haben festgestellt, dass sich die Wahrnehmung der Schüler schnell verändert. Plötzlich interessieren sie sich viel mehr für verschiedene Vogelarten als für Automarken oder Pokémonkarten“, so Christa Baule. „Das ist wichtig, denn nur was ich liebe, werde ich später schützen. Schließlich leben wir auf einem endlichen Planeten.“

Therapiehunde an Schulen sind keine Ausnahme mehr. Doch dass ein „ganz normaler“ Hund jeden Tag in den Unterricht mitkommt, so wie an der Internationalen Schule der Privaten Kant-Schule in Steglitz, ist nach wie vor ungewöhnlich. Der gutmütige bretonische Jagdhund Bill muss natürlich im Sachkundeunterricht ran, etwa wenn es um Haus- und Nutztiere geht.

Aber beim „Lesen mit Bill“ lauscht er auch leseschwächeren Kindern, die vor dem Vierbeiner viel flüssiger lesen als vor den Lehrern. Um Bill mitbringen zu können, musste Besitzer und Lehrer Stephan Bartel nur die Zustimmung der Eltern einholen. „Neue Ideen können an freien Schulen schneller und unbürokratischer durchgesetzt werden als an staatlichen Schulen“, so Bartel.