„E-Mail-freie Tage“

VORTRAG Der Bremer Politologe Mückenberger streitet für ein europäisches „Recht auf Zeit“

■ 68, war Rechts und Politikwissenschaftler an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP). Heute leitet er die Forschungsstelle Zeitpolitik.

taz: Herr Mückenberger, ich habe immer zu wenig Zeit…

Ulrich Mückenberger: Letztlich geht es um die Zeit, die jeder für sich haben möchte, aber wenn wir von Recht auf Zeit sprechen, dann meinen wir gesellschaftliche Bedingungen, die einem Zeit rauben. Zum Beispiel unnötig lange Wartezeiten.

Man soll heute über Handy immer verfügbar sein.

Das ist eine Enteignung von Zeit. Unsere Gesellschaft ist von Beschleunigungsprozessen geprägt, die Sensibilität für Zeit wächst. Das macht es sinnvoll, ein Recht auf Zeit zu fordern. Eine grenzenlose Verfügbarkeit von Arbeitnehmern zu verlangen, ist meiner Ansicht heute schon rechtswidrig.

Was bringt ein europäisches Recht auf Zeit?

Der Europarat, das sind die 47 Mitgliedstaaten, die auch die europäische Menschenrechtkonvention verabschiedet haben – also die politischere Institution gegenüber der Europäischen Union – hat 2010 dieses Recht auf Zeit formuliert im Kontext eines Grundsatzbeschlusses zur lokalen Zeitpolitik.

Nun hat der Europarat kein Geld und auch keine Macht, sowas durchzusetzen.

Der Europarat ist eine moralische Instanz. Die europäische Sozialcharta etwa hat auch als moralischer Appell angefangen und ist zu knallhartem, belastbarem Recht geworden.

Haben die Bürger einer Kommune einen Nutzen davon?

Es gibt zunehmend Menschen, die das Problem Zeit-Enteignung drängt, gerade durch das Internet. Es gibt inzwischen schon Firmen, die E-Mail-freie Tage anordnen. INTERVIEW: KAWE

„Das Recht auf Zeit“: 19.30 h, Europapunkt, Haus der Bürgerschaft