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Doğan Akhanlı über sein neues BuchGefängnis, Folter, Goethe-Medaille

Schriftsteller Doğan Akhanlı lebt im deutschen Exil und wird von Erdoğans Leuten verfolgt. Doch seine Stimme ist laut. Nun wird er ausgezeichnet.

Am Mittwoch bekommt Doğan Akhanlı die Goethe-Medaille. Ihm kommt das „surreal“ vor Foto: dpa
Andreas Fanizadeh
Interview von Andreas Fanizadeh

Dreimal in seinem Leben wurde Doğan Akhanlı in der Türkei festgesetzt. Das erste Mal als Gymnasiast mit 18 Jahren. Er will sich eine Zeitung am Kiosk kaufen. Eigentlich ein harmloser Vorgang. Doch dort lauert die Polizei. Resultat: 11 Tage Folter, vier Monate Haft. Das prägt. 1980 putscht dann das Militär in der Türkei. Akhanlı lebt fortan unter einer falschen Identität. Tagsüber baut er Musikinstrumente, nachts schreibt er Flugblätter gegen die Diktatur. Er lernt seine künftige Partnerin Ayşe kennen.

1985 wird das Paar mit ihrem 16 Monate alten Sohn verhaftet. Erneut Folter, zweieinhalb Jahre Haft. 1991 gelingt der Familie mit inzwischen zwei Kindern die Flucht nach Deutschland. 1998 bürgert ihn die Türkei aus, 2001 nimmt Akhanlı die deutsche Staatsbürgerschaft an. 2010 reist der Autor und Menschenrechtsaktivist in die Türkei.

Er will seinen Vater ein letztes Mal sehen, hat Heimweh. Bei der Einreise wird er verhaftet. Er soll 1989 an einem Raubüberfall beteiligt gewesen sein, so die Behauptung. Das schien selbst der damaligen türkischen Justiz etwas zu gewagt fabuliert. Akhanlı wird nach viermonatiger Untersuchungshaft freigelassen und freigesprochen. Rückkehr ins deutsche Exil. Doch Erdoğans Leute arbeiten im Stillen weiter. Sie lassen Akhanlı 2017 in einer Aufsehen erregenden Aktion im spanischen Granada per Interpol verhaften. Die EU weist den türkischen Strafbefehl schließlich zurück.

taz am wochenende: Herr Akhanlı, hat man sich für den konstruierten Haftbefehl und die Festsetzung in Granada später bei Ihnen aus der Türkei entschuldigt?

Doğan Akhanlı: Erdoğan kennt das Wort Entschuldigung nicht. Man müsste es auch erst ins Türkische übersetzen. Keine türkische Regierung hat sich bislang für den Völkermord an den Armeniern 1915 entschuldigt.

Hat man denn die fingierten Behauptungen gegen Sie mittlerweile in der Türkei fallen gelassen, was wissen Sie darüber?

Nein und ja. Franz Kafka meinte in seinem Roman „Der Prozess“, für Angeklagte sei die Verschleppung eines Urteils das Beste. Juristisch gesehen ist mein Prozess seit Langem in dieser Phase. Angeblich soll im Oktober 2019 etwas geschehen. Aber ich vermute, dass die türkische Justiz mit ihrer erfinderischen Kreativität noch lange nicht am Ende ist.

Was glauben Sie, warum lässt Präsident Erdoğan jemanden wie Sie, der seit Jahrzehnten als Schriftsteller und Bürgerrechtler friedlich im deutschen Exil lebt, verfolgen?

Im Interview: Doğan Akhanlı

wird am Mittwoch in Weimar mit der Goethe-Medaille 2019 geehrt, zusammen mit der Künstlerin Shirin Neshat und dem mongolischen Verleger Enkhbat Roozon. Er veröffentlichte zuletzt „Verhaftung in Granada“ (KiWi) und „Madonnas letzter Traum“ (Sujet Verlag). Auf der Buchmesse Leipzig 2018 hat die taz ausführlich mit ihm über seine Person und seine Verhaftung gesprochen.

Aus Angst vor unseren Stimmen und aus Hass.

Warum akzeptiert Erdoğan Ihre deutsche Staatsbürgerschaft nicht, das bringt ihm doch nur außenpolitischen Ärger ein?

Das ist die traditionelle Arroganz des Despoten. Er muss seine Macht permanent demonstrieren. Er kann außer seiner eigenen keine andere Meinung ertragen.

Fühlen Sie sich in Deutschland sicher?

Einerseits: ja. Andererseits gibt es aber hier diese „besorgten“ oder „wütenden“ Bürger, die sich derzeit verstärkt positiv auf die NS-Zeit beziehen. Sie agieren menschenfeindlich, sprechen bei 6 Millionen Holocaust-Opfer von einem „Vogelschiss der Geschichte“. Sie agitieren gegen „Ausländer“, und manchmal morden sie auch.

Dieser Tage erscheint im Sujet Verlag Ihr Roman „Madonnas letzter Traum“. Worum geht es in dem Buch?

Es ist eine Hommage an meine Mutter und an die historische Liebesgeschichte von Sabahattin Ali, seiner „Madonna im Pelzmantel“. Das Buch ist eine Spurensuche in Deutschland, Polen, Rumänien und in der Türkei – von der Gegenwart bis zur NS-Zeit. Ich habe mit mir selbst als „namenlosen Leser“ eine Romanfigur entwickelt und bin Alis jüdischer Protagonistin Maria Puder gefolgt.

War Maria Puder nur eine Romanfigur, oder hat sie vielleicht wirklich gelebt? Ist sie unter den jüdischen Flüchtlingen der „Struma“ gewesen, dem Schiff, das 1942 vor Istanbul versenkt wurde? Ich wollte die Romanfigur der Maria Puder um eine rea­le historische Komponente erweitern.

Warum dieses Spiel mit diesem Schriftsteller und seinem historischen Roman?

„Die Madonna im Pelzmantel“ wurde 1943 veröffentlicht. Ali erzählt von der Liebesgeschichte zwischen einem türkischen Mann und einer jüdischen Malerin in Berlin. Sabahattin Ali wurde 1948 an der türkisch-bulgarischen Grenze bei der Flucht ins Ausland von einem früheren Offizier im Auftrag des türkischen Geheimdienstes erschlagen. Der Täter sagte später, er habe Ali ermordet, weil dieser sein „Nationalgefühl“ verletzt habe.

Ali und seine Romanfigur Maria ermöglichen es mir, über Grenzen und Zeiten hinweg zu denken. Ich kann so von verschiedenen Formen der Verfolgung und staatlicher Gewalt in der Geschichte literarisch erzählen. Auch etwa, wie beachtlich die Transformation von der NS-Diktatur zur Demokratie in Deutschland ist, während in der Türkei weiterhin das Vergessen Gesetz ist.

Wofür stehen Sabahattin Ali und sein Werk in der türkischen Literaturgeschichte?

„Die Madonna im Pelzmantel“ ist eines der bedeutendsten türkischen Prosawerke des 20. Jahrhunderts, derzeit ein Bestseller. Als ich meinen Roman schrieb, war Ali zwar bekannt, aber nur in kleinen Kreisen. Ich habe intensiv zu ihm recherchiert, sein Werk gelesen. So wurde er zu einer Romanfigur von mir. Er ist eine Person, der ich mich sehr nahe fühle, die mich sehr geprägt hat.

Nächste Woche werden Sie als Autor und Bürgerrechtler in Weimar mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet? Was bedeutet Ihnen dieser Preis?

Es ist eine überraschende und wertvolle Anerkennung meiner literarischen und politischen Arbeit. Das diesjährige von Goethe entlehnte Motto „Dichtung und Wahrheit“ finde ich sehr passend. Aber vieles kommt mir auch surreal vor. Ohne die sinnlose Verfolgung durch den türkischen Staat, aber auch ohne die fantastische Solidarität aus Deutschland, Spanien und der Türkei wäre mir dieser Preis nicht zugesprochen worden. Woher sollte die Goethe-Welt, das Auswahlkomitee von mir wissen? Die Verfolgung hat meine Stimme also nicht ersticken können, sie hat meinem Wort dauerhaft eher mehr Gewicht gegeben.

Was glauben Sie: Werden türkische Medien über die Preisverleihung in Weimar berichten?

Ich vermute, dass die drei Tagezeitungen Cumhuriyet, Evrensel und Birgün dies tun werden. Die Staatspresse und andere Medien werden schweigen.

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