Mekka für Finanzinvestoren

Durch niedrige Lohnkosten und hohe Gewinne empfiehlt sich die deutsche Wirtschaft ausländischen Investoren. US-Firma Cerberus vor Übernahme der Gerling-Versicherung

BERLIN taz ■ Allem Gejammer über zu hohe Lohnkosten, Steuern und sonstige Belastungen zum Trotz erfreut sich der Standort Deutschland guter Gesundheit. Dies belegte eine Studie des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts. Demzufolge steigen die Lohnkosten hierzulande deutlich langsamer als im Rest der Europäischen Union.

Relativ zu anderen europäischen Volkswirtschaften gewinnt Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit. Während die Lohnkosten in Deutschland nach Einschätzung des WSI 2005 um 0,5 Prozent zunehmen, legen sie in den meisten europäischen Staaten um 3 bis 4 Prozent zu. Der EU-Kommission zufolge sind die deutschen Lohnstückkosten im vergangenen Jahr gefallen – und zwar um 1,1 Prozent.

Zurzeit setzen die Unternehmen die relativ geringeren Löhne aber nicht in neue Arbeitsplätze um. Stattdessen nehmen die Firmen die Einsparungen als höhere Gewinne mit. Die im Deutschen Aktienindex DAX vertretenen Konzerne haben ihre Erlöse pro Aktie allein im vergangenen Jahr um annähernd zwei Drittel steigern können. Gerade erst legten Allianz, Bayer, Eon und Lufthansa Bilanzen mit unerwartet hohen Gewinnen vor.

Dieser Trend wird sich vorerst fortsetzen. „Der deutsche Aktienmarkt weist höhere Wachstumsraten bei den Unternehmensgewinnen aus als andere europäische Börsen“, sagt Ian Scott, der Europa-Chefstratege der Investmentbank Lehman Brothers. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass der DAX diese Woche Kurs auf 5.000 Punkte nahm.

Angetrieben wurde diese Rallye übrigens im Wesentlichen durch Aktienkäufe aus dem Ausland. Aktien deutscher Unternehmen sind bezogen auf die erwarteten Gewinne im internationalen Vergleich derzeit sehr günstig bewertet.

Neben den relativ niedrigeren Lohnkosten profitieren deutsche Unternehmen von einer Reihe weiterer Vorteile. Der überteuerte Euro etwa hat gegenüber dem US-Dollar wieder an Wert verloren. Hiesige Exporteure können deshalb auf dem Weltmarkt günstiger anbieten. Wichtige Absatzmärkte für deutsche Unternehmen wie China und Indien boomen zudem. Damit dürfte Deutschland seine Position als Exportweltmeister behaupten. Außerdem können sich Unternehmen angesichts niedriger Zinsen billig refinanzieren.

Dass sich in Deutschland gute Geschäftschancen ergeben, hat man im Ausland längst erkannt. Vor allem die von SPD-Chef Franz Müntefering als „Heuschrecken“ titulierten Finanzinvestoren kaufen sich in viele Branchen ein.

13 Milliarden Dollar investierten sie im ersten Halbjahr 2005 in Deutschland – etwa für den Kauf von Ruhrgas Industries oder die Elektrofirma Moeller Holding. Gestern zeichnete sich ab, dass der US-Investor Cerberus den angeschlagenen deutschen Versicherungskonzern Gerling für mehr als eine Milliarde Euro übernehmen könnte. „Deutschlands Industrie-Elite ist dank erzielter Sanierungserfolge zum Schnäppchen-Mekka für Firmenjäger geworden“, urteilt die Zeitschrift Das Wertpapier. „Buy Germany“, rät etwa der Chefvolkswirt der Investmentbank Goldman Sachs in London, Jim O’Neill, den Anlegern. Die US-Investmentfondsgesellschaft Fidelity hat sogar einen eigenen Deutschland-Fonds aufgelegt. Fondsmanagerin Alexandra Hartmann sieht „wahnsinnig viele Chancen“.

Gute Möglichkeiten bieten sich Finanzinvestoren besonders auf dem deutschen Immobilienmarkt. Vergleichen sie die Preise von Wohneigentum hier mit denen in Großbritannien oder den USA, können sie offenbar nicht widerstehen. So ist die britische Investmentfirma Terra Firma inzwischen mit dem Kauf der Wohnungsgesellschaft Viterra Deutschlands größter Immobilienbesitzer. NICOLA LIEBERT