Wenn die französischen Pflüge kommen

Gewerkschaftschef Sommer droht auf seiner Rundreise der Union: Will sie Arbeitnehmerrechte beschneiden, gibt’s Ärger, „und zwar so, dass es knallt“. In manchen der besuchten Betriebe wird die Sozialpartnerschaft gelobt, doch sie bröckelt allerorten

Den Gewerkschaftern sind die Unions-Pläne einen politischen Streik wert

AUS ALPEN/NIEDERRHEIN UND MARL ULRIKE WINKELMANN

Die Firma Lemken in Alpen am Niederrhein produziert Pflüge und andere Landmaschinen. Ihr Markenzeichen ist ein kühles Kobaltblau und ihre Qualität. An Billigpflügen bleibt die Erde auch schon mal kleben, an Lemken-Pflügen nicht. Das funktioniert schon seit 225 Jahren ganz gut.

Wie sie dort sitzen, die beiden Inhaber des Unternehmens, Viktor Lemken und Tochter Nicola, der Geschäftsführer Franz-Georg von Busse, der alte und der junge Betriebsrat, auch Vertreter der IG Metall sind dabei, sehen sie aus wie die Besetzung eines Theaterstücks über Liebe, Stolz und Leistung in einem deutschen Familienunternehmen. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, ist zu Besuch. Der begleitenden Presse will er zeigen, wie flexibel und vernünftig Betriebsräte sein können – mit einer Gewerkschaft an der Seite.

Geschäftsführer von Busse erzählt, als Rinderwahn und Maul- und Klauenseuche über die Landwirtschaft hereinbrachen, seien die Probleme nur bewältigt worden, weil der Betriebsrat der Belegschaft kleinere Härten auch erklärte. „Wenn der Betriebsrat von den Mitarbeitern höhere Leistung verlangte, habe ich viel mehr erreicht“ – als wenn er sie als Chef dazu zwingen müsste. Der Betriebsrat Norbert Schulze antwortet mit „großem Dank auch an die Unternehmensleitung“: Sie habe es möglich gemacht, dass „die Betriebsräte zu Co-Managern“ wurden, denn „bei uns werden die Betriebsräte im Bilanzlesen geschult“. Sozialpartnerschaft könnte schöner nicht sein.

Bis der IG-Metaller aus Düsseldorf spricht. Wolfgang Nettelstroth will erklären, wie es zum Motto der IG Metall Nordrhein-Westfalen kam: „Besser statt billiger“. Die Metaller finden, dass Qualität, nicht niedrige Löhne der Wirtschaft helfen. Es ist ein augenzwinkernder Gruß auch an Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Die sagt schließlich immer: Wir müssen so viel besser sein, wie wir teurer sind.

Leider jedoch explodiert jetzt der Chef. „Wir sind gut genug! Wir sind vielleicht sogar zu gut – wir müssen aber billiger werden!“, sagt Viktor Lemken erregt. Und wo er jetzt „schon einmal reden“ dürfe: „Die Landwirte kaufen einen Pflug für zehn Prozent mehr, weil er leichter pflügt – aber sie werden nicht zwanzig Prozent mehr zahlen!“ Die französischen Pflüge von Huart aber drängen für zwanzig Prozent weniger „ganz stark in den deutschen Markt“.

Der Lemken’sche Wutausbruch macht alle im Raum ganz verlegen. Sozialpartnerschaft kann so emotional sein. DGB-Chef Sommer vermutet, dass Huart den Strom subventioniert bekommt. Nettelstroth sagt, man müsse wohl auch mal mit den europäischen Betriebsräten reden.

Die französischen Pflüge beschäftigen das Gewerkschafts- und Presse-Trüppchen, das mit Michael Sommer und einem roten Reisebus gekommen ist, noch bis zum Chemiepark Marl. In diesem Industrieungeheuer aus unzähligen Rohren hieß einmal Hüls AG, jetzt regiert hier Degussa. Außerdem gibt es noch ein Dutzend dieser Kunstfirmennamen mit „Veri“- oder „Poly“-Irgendwas. Es handelt sich um „Heuschrecken“ – Investoren, die das Unternehmen nicht erfolgreich führen, sondern erfolgreich ausweiden und verkaufen wollen.

Im Chemiepark haben die Vertrauensleute von der IG Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE) sogar ein Veranstaltungsplakat aufgestellt: „Der Sommer kommt!“ – doch ist hier das Wetter gerade schlecht wie überall. Der DGB-Chef kalauert, er sei bloß der “Ersatz-Sommer“. Er hat sich diese Gelegenheit für eine Drohung an die Union ausgesucht. Sollte eine Merkel-Regierung, wie vermutet, als Erstes das Arbeitsrecht und die Tarifautonomie angreifen – „dann gibt es Konflikte, und zwar so, dass es knallt!“

Der Knall wird nicht erklärt. Doch ist deutlich, was dahintersteht: Die neun Gewerkschaftsführer haben sich im Juli getroffen und beschlossen, dass ihnen die Unions-Pläne auch einen „politischen Streik“ wert sind. Der ist zwar verboten, doch gibt es ja auch andere Bezeichnungen dafür. Die Betriebsräte werden mobilisiert. Es gilt zu verhindern, dass CDU/CSU „betriebliche Bündnisse“ über Mehrarbeit und weniger Lohn ohne Gewerkschaftsbeteiligung ermöglicht. Auch die Mitbestimmung durch Betriebsräte wäre von einer schwarz-gelben Regierung bedroht – nicht aber von einer großen Koalition mit der SPD. Über Parteien und Bündnisse spricht Sommer zwar nicht direkt, aber: „Wir werden im Zweifelsfall für die Tarifautonomie kämpfen.“

Als Sommer geredet hat, springt im Saal eine Frau auf, die sich nur als Annette vorstellt und dass sie „bei einer dieser Wanderheuschrecken“ arbeitet: „Da wird mal eben an einem Standort ein Betriebsrat aufgelöst, und keiner sagt was!“ Andere Vertrauensleute berichten von Lohnkürzungen, erpressten Betriebsräten und Wut über den Merkel-Plan, Feiertags- und Nachtzuschläge zu besteuern. Sollte eine CDU-Regierung Ernst machen mit solchen Plänen: Im Chemiepark Marl würde gestreikt. Jedenfalls klingt es so. Auch der Verlust der Sozialpartnerschaft kann sehr emotional sein.