Jungfrau mit Kind

Maria Magdalena soll wie Jesus aufgefahren sein. Die katholische Kirche klammert sich an ihr eigenes Dogma. Doch es gibt auch Gegenpositionen

VON PHILIPP GESSLER

Es soll irgendetwas mit einem Strahlenkranz zu tun gehabt haben, aber eigentlich weiß man nichts darüber. Eine viel größere Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass Maria in ihrem Grab – vielleicht in Ephesus in der heutigen Türkei – langsam von Maden aufgefressen worden ist, wie wir alle eines Tages, wenn wir uns nicht verbrennen lassen. Diese ziemlich plausible Vermutung ist jedoch nicht der Glaube der katholischen Kirche, weshalb Katholikinnen und Katholiken in aller Welt heute „Mariä Himmelfahrt“ feiern.

Diese Jahrhunderte alte Feier wurde durch ein Dogma untermauert, das heißt einen feierlich proklamierten Glaubenssatz der Kirche. Demnach fuhr sie auf in den Himmel wie der auferstandene Christus: „Es ist eine von Gott geoffenbarte Glaubenswahrheit, dass die unbefleckte, immer jungfräuliche Gottesmutter Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes mit Leib und Seele zur himmlischen Herrlichkeit aufgenommen worden ist“, verkündete 1950 Papst Pius XII. Zur Erinnerung: Damals gab es schon Autos, Kühlschränke und die Atombombe.

Pius XII. übrigens war der Papst, der zum Holocaust schwieg. In Sachen Mariä Himmelfahrt konnte er dagegen nicht schweigen, sondern musste diese angebliche Wahrheit unbedingt verkünden, obwohl seine gesicherten Informationen dazu viel geringer waren als die zum Massenmord an den europäischen Juden. Genauer: Es gab und gibt keinerlei Zeugen für diese Himmelfahrt Mariens. Das räumt der deutsche Erwachsenen-Katechismus auch unumwunden ein. Um dann aber rumzueiern: „Sie (die Himmelfahrt) ist ein von Gott gewirktes Geschehen, aber kein historisch datierbares Ereignis.“ Es hat also irgendwie stattgefunden und irgendwie doch nicht. Erklären kann dies nur der Glaube, wenn man ihn hat (und selbst dann fällt es, gelinde gesagt, schwer).

Die Kirche liefert zur Begründung zwei Interpretationen: Bei Maria habe eben eine besonders enge Verbundenheit mit Jesus bestanden, der schließlich auch auferstanden sei: „Christusgemeinschaft ist Gemeinschaft des Kreuzes und der Auferstehung.“ Zum zweiten sei wegen dieser Nähe zu Christus bei Maria schon vorweg genommen, wozu alle Christen berufen seien: die Auferstehung des Leibes. Eine „neue Eva“, eine neue Mutter des Lebens sei die Nazarenerin, deshalb auch ihre Verklärung durch die Himmelfahrt. Die Kirche argumentiert, dass gerade die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel zu einer beispielhaften Annahme des Leibes beitrage: Den Leib nicht verdammen, sondern ihn hoch achten!

Es ist offensichtlich: Beim Thema Maria begibt sich die Kirche auf das Gebiet der frommen Spekulation. Seriöse Theologen sagen das ziemlich deutlich: Der verstorbene Karl Rahner, den manche für den größten Theologen des vergangenen Jahrhunderts halten, räumt unumwunden ein: „Aus dem Leben Marias ist wenig bekannt. Was darüber außerhalb der spärlichen Notizen der Schrift berichtet wird, ist legendär.“ Und: „Über die Umstände ihres Todes ist historisch nichts bekannt.“ Rahner, eindeutig kein glühender Verfechter der Himmelfahrts-These, erklärt denn auch trocken, es könne „nicht daran gezweifelt werden, dass sie gestorben ist in der echten Vollendung ihrer irdischen, das Los aller Menschen mittragenden paradiesischen Existenz in der Nachfolge des Sterbens ihres Sohnes“. Rahner dreht die Pseudo-Argumente für die Himmelfahrt also de facto um. Maria sei eines natürlichen Todes gestorben, „da sie nicht die paradiesische Herrlichkeit, sondern den vollendeten Sieg der Gnade Jesu Christi in der Schwachheit des Fleisches darstellen sollte“.

Wie an der Himmelfahrt zu sehen, hat der Marienglaube der zölibatären Herren der Kirche mit Logik nichts oder wenig zu tun. Das zeigt sich auch in dem älteren fast noch absurderen Dogma, dass Maria ihr Leben lang – und eben nicht nur vor der Geburt Jesu – Jungfrau geblieben sei, sondern auch danach. Dies widerspricht klar den Aussagen des Neuen Testaments, die mehrmals von den Brüdern und Schwestern Jesu spricht (z.B. Markus 6,3, Matthäus 27,56 und 1. Brief an die Korinther 9,5). Bekanntere „Mariologen“, wie beispielsweise Wolfgang Beinert, emeritierter Professor an der Uni Regensburg, wischen diese Stellen mit dem Hinweis zur Seite, dass im Aramäischen, in dem diese Stellen der Schrift ursprünglich geschrieben wurden, der Ausdruck „Brüder“ und “Schwestern“ auch Kusinen und Kusins bedeuten könne.

Die angebliche Jungfräulichkeit Mariens hat allerdings auch ihre Funktion: „Diese Wahrheit des Glaubens“, wie der Katechismus schreibt, war in der Kirche „von großer Bedeutung für das Ideal der frei gewählten Ehelosigkeit“. Wie immer das psychologisch zu erklären ist, fällt es Menschen, die sich vorgenommen haben ohne Sex zu leben, leichter, dies mit Maria als Vorbild zu tun. Die Kirche schafft ein Idealbild von sich selbst: „In ihr und in ihr allein ist die Kirche ohne Makel und Runzel, die sonst erst eine endzeitliche Hoffnung ist, schon jetzt verwirklicht“, heißt es im Katechismus.

Fazit: Wer an die immer währende Jungfräulichkeit Mariens und ihre Himmelfahrt glaubt, muss vorher seinen Verstand ausgeschaltet haben – und ein großer Fan der römisch-katholischen Kirche sein.

Maria im Bonner Frauenmuseum. Die Ausstellung „Mythos Mutter“ läuft bis Ende August FOTO: BIRGIT DUNKEL