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Liberaldemokraten in GroßbritannienFrischer Wind gegen den Brexit

Die Abgeordnete Jo Swinson wird Chefin der britischen Liberaldemokraten. Sie will die kleine Oppositionspartei als Pro-EU-Kraft an die Macht führen.

Die Neue: Jo Swinson nach ihrem parteiinternen Wahlsieg Foto: reuters

London taz | „Ich tobe, wenn Boris Johnson mehr daran interessiert ist, sich bei Donald Trump einzuschleimen, statt für britische Werte wie Bescheidenheit, Gleichberechtigung und Respekt zu stehen“: Mit dieser direkten Attacke nahm Jo Swinson am Montagabend ihr Amt als neugewählte Parteiführerin der Liberaldemokraten auf, die erste Frau in diesem Amt.

Die 39-Jährige hatte soeben die Urwahl zur Parteiführung mit 47.997 zu 28.021 Stimmen gegen den Herausforderer Ed Davey gewonnen. Swinson löst damit ihren Vorgänger ab, den 76-jährigen Sir Vince Cable, der alterbedingt zurückgetreten war.

Swinson versteht sich aber nicht nur als Parteichefin einer kleinen Oppositionskraft. Sie sehe sich als Kandidatin für das Amt der Premierministerin, sagte sie in ihrer Siegesrede. Denn sie übernimmt ihren Posten in einer Zeit des Aufschwungs der britischen Liberaldemokraten, nach Jahren des nahezu kompletten Zerfalls.

Bei den Wahlen 2015, als die Liberalen gerade fünf Jahre Koalition mit den Konservativen unter David Cameron hinter sich hatten, waren sie fast in der Versenkung verschwunden: von 57 Sitzen blieben nur 8 übrig. Auch Swinson verlor damals ihren Wahlkreis Ost-Dunbarton in Schottland, so wie ihr Ehemann Duncan Hames, der ebenfalls Unterhausabgeordneter war.

Erst bei den von Theresa May ausgerufenen vorzeitigen Neuwahlen im Jahr 2017 konnte Swinson ihren Sitz zurückerobern, dank einer starken proeuropäischen Parteilinie. Die Liberaldemokraten verbesserten sich insgesamt leicht auf 12 Mandate. In ihrer Antrittsrede versprach Swinson jetzt, alles daranzusetzen, um den Brexit zu stoppen.

Grün und sozialliberal

Die britischen Liberaldemokraten sind ein Zusammenschluss der altehrwürdigen Liberalen Partei des Landes, die historisch das aufgeklärte Bürgertum Großbritanniens vertritt, mit den Sozialdemokraten, einer 1981 gegründeten Abspaltung von Labour. Sie sind deshalb, anders als die deutsche FDP, eher sozialliberal als wirtschaftsliberal einzuordnen und verfügen außerdem seit einigen Jahren über einen starken grünen Flügel.

Bei ihren Wahlveranstaltungen gab sich Swinson als das freundlichere Gesicht mit einer progressiven Haltung, ohne – im Gegensatz zu ihrem Herausforderer Ed Davey – konkrete politische Programme aufzuzählen. Geboren 1980 in Schottland, wurde sie schon mit 17 Jahren Liberaldemokratin und gewann mit 25 Jahren erstmals ihren Unterhaussitz für den schottischen Wahlkreis, in dem sie aufgewachsen war.

Weil sie im Parlament jahrelang die jüngste Abgeordnete war, führte sie lange den Spitznamen „Baby des Hauses“. Im September 2018 schrieb sie Parlamentsgeschichte, indem sie demonstrativ ihren zwei Monate alten Sohn ins Unterhaus mitbrachte. Zuletzt war sie stellvertretende Parteichefin der Liberaldemokraten hinter Vincent Cable und außenpolitische Sprecherin ihrer Partei und veröffentlichte 2018 ein Buch „Equal Power“ über Gleichberechtigung von Frauen.

Mit Jeremy Corbyn nichts am Hut

Unter den öffentlichen Gratulanten fanden sich unter anderem der stellvertretende Labourchef Tom Watson und die Grüne Caroline Lucas, die beide die Hoffnung auf gemeinsame Arbeit betonten. Die schottischen Nationalisten hingegen lehnen Swinson ab.

Die neue Spitzenliberale sprach sich ihrerseits gegen eine Zusammenarbeit mit Labour-Chef Jeremy Corbyn aus und nannte diesen einen Brexit-Anhänger, dem nicht zu trauen sei, wenn es um den Kampf für den Verbleib in der EU gehe.

Offen liebäugelt Swinson mit dem Projekt einer Neuausrichtung der britischen Politik, bei der die Liberaldemokraten mit einem klaren Pro-EU-Kurs die Opposition zu einer konservativen Brexit-Regierung darstellen, und hofft auf weitere Überläufer von Labour – so wie der ehemalige Labour-Abgeordnete Chuka Umunna, der als Liberaldemokrat Swinsons Wahl offen im Abendfernsehen feierte. Ihre Tür, sagte Swinson in Richtung möglicher weiterer Abweichler, sei immer offen.

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