Vergessene Zone

Hertha BSC Berlin gewinnt 2:0 gegen Eintracht Frankfurt, verliert aber Vertrauen in den eigenen Sturm

BERLIN taz ■ Man lässt das Hinweisschild „Medienabwurfschacht“ links liegen, geht die „Pressetreppe“ noch ein paar Stufen hinab, biegt links ab, und schon ist man in dem Raum, in dem sich Dieter Hoeneß aufgebaut hat. Ein Traube von Journalisten umringt ihn. Es geht wieder einmal um die Stürmerfrage. Das ewige Thema bei Hertha BSC Berlin. Im Spiel gegen Eintracht Frankfurt hatte kein Angreifer im weiß-blauen Trikot den Ball ins Tor geschossen. Die Treffer zum 2:0-Erfolg im Olympiastadion erzielten Oliver Schröder, ein Mittelfeldmann, und Arie van Lent, seines Zeichens Stürmer, aber einer in Diensten von Eintracht Frankfurt; der Unglückliche köpfelte ein Eigentor.

Die Krise in der Sturmabteilung dauert also an. Sie ist chronisch. Die Süddeutsche Zeitung schreibt folgerichtig: „Es ist ein Phantomschmerz, der Hertha plagt, das taube Gefühl, dass eine Extremität fehlt.“ Auch am Samstag hinkte eine amputierte Elf über den Platz, bot ein Spiel, über dessen Qualität man lieber schweigen sollte. Eintracht Frankfurt trug auch nicht bei zu einem würdigen Bundesligaspiel. So würgten sich beide Teams über neunzig Minuten, und die Hertha kann von Glück sagen, dass dieser Krampf mit Ball zu ihren Gunsten ausging.

Manager Hoeneß räumte gerne ein, dass die Hertha ihren Anteil am Grottenkick hatte: „Es kam zu wenig von hinten, zu wenig über die Flügel – und unsere Stürmer hatten es heute auch schwer.“ Nichts Neues in Herthaland, mal abgesehen vom wundersamen Treffer Artur Wichniareks im Auftaktspiel der Hertha gegen Hannover 96 vor Wochenfrist. Dieses Tor ließ die Diskussionen um eine Neuverpflichtung abflauen. Doch nun wird wieder gemutmaßt, ob nicht doch ein Knipser kommen sollte, der Marcelinho als Torlieferanten entlastet. Hoeneß hat gebetsmühlenartig wiederholt, dass sich Hertha BSC nur verstärken wolle, wenn der Neue restlos überzeuge. „Die Stürmer, die uns weiterhelfen, muss man mit der Lupe suchen.“ Bis zum 31. August muss sich der Verein entscheiden. Geld ist knapp. Bei den Banken steht der Klub mit 18 Millionen Euro im Minus. Platz fünf in der Tabelle, so lautet das Saisonziel der Berliner, kann wohl kaum mit ladegehemmten Angreifern geschafft werden, auch wenn Hoeneß Gegenteiliges behauptet: „Mit dem Kader können wir unser Saisonziel erreichen.“

Dieter Hoeneß schützt die Angreifer, auch dies ist ein Ritual. Er selbst war einer. Er kennt die Täler, die Spieler in dieser exponierten Position zu durchschreiten haben. Nach der fußballerischen Zumutung vom Samstag sagte er: „Der Spielaufbau war zu pomadig, da kann kein Stürmer der Welt etwas machen.“ Dann ließ er einen Satz fallen, der aufhorchen ließ, einen merkwürdigen Satz. „In Berlin vorne drin zu spielen, ist nicht ganz einfach. Da gehört etwas an mentaler Qualität dazu.“ Eine Eigenschaft, die offenbar eine Reihe von Angreifern scheitern ließ: Weltmeister Luizão, seinen Landsmann Alex Alves, Fredi Bobic und seinerzeit auch den Iraner Ali Daei. Auf dem Sturm scheint ein Fluch zu liegen. Aber Warum? Wieso ist es in Berlin so schwer, „vorne drin“ zu spielen? Es liegt daran, dass Hertha BSC die flankenwütigen Außenstürmer fehlen, seit langem schon. Die Angreifer bekamen und bekommen zu wenig Bälle. Das Leder klebt zudem am Bein der offensiven Mittelfeldspieler, die ihrerseits den Torerfolg suchen und zu wenig an die Spitzen denken. So plagen sich die Stürmer in der vergessenen Zone, rennen viel und schießen wenig. Ein herthanisches Dilemma.

MARKUS VÖLKER