Der Türkdeutsche

Ein Deutscher, der akzentfrei türkische Volksweisen singt: Der Hamburger Mario Rispo gilt als Beispiel gelungener umgekehrter Integration. An diesem Wochenende schüttelt er in seiner Heimat die Hüften

Mario Rispo ist ein gern geladener Gast, wann immer deutsche auf türkische Politiker treffen

Und wieder die Frage nach dem Warum. Mario Rispo hat sie schon oft gehört. Warum ausgerechnet diese seltsame, fremdartige, schreckliche Musik, fragen die Deutschen. Warum, das haben auch seine Freunde gefragt, als er sich bereits in Kinderjahren für Sanat begeisterte – klassische Musik aus dem osmanischen Reich, die unter den gleichaltrigen Türken als eher uncool galt. Und Mario Rispo kann nur immer dieselbe Antwort auf die Frage geben: Es gibt keine.

„Entweder man fühlt sich berührt von Musik oder nicht“, sagt er lapidar. Und deswegen steht der Hamburger seit März dieses Jahres auf den Bühnen in Berlin, Köln oder Stuttgart, schüttelt die Hüften und stimmt alte türkische Volksweisen an, deren herzzerreißende Melodien für westliche Ohren erstmal befremdlich klingen. „Hüzün“, heißt sein Programm, und Mario Rispo hat Schwierigkeiten, wenn er den Titel erklären soll. Es ist ein Wort, dass es nicht gibt im Deutschen. „Eine Art von verliebter Melancholie“, sagt er.

Mario Rispo, obwohl Deutscher mit italienischen Wurzeln, kennt Hüzün. Er kennt dieses Gefühl, wenn man von der europäischen Seite Istanbuls in Richtung der asiatischen fährt und das immer zu volle Schiff besteigt, wie sich dann plötzlich eine sonderbare Ruhe über die Passagiere legt, während Kaffee gereicht wird und die Moscheen der Stadt vorüber ziehen. Und er versucht, den Deutschen diese Stimmung näher zu bringen.

Erst spät entschloss er sich, sein Hobby zum Beruf zu machen. Vor sechs Jahren, er war schon Mitte Dreißig, Event-Manager und Mitbegründer des Schmidt-Theaters, wagte er den Schritt nach Berlin und studierte als erster Deutscher Gesang am türkischen Konservatorium in Kreuzberg. Es war keine fremde Welt für ihn. Rispo ist im Hamburger Migrantenviertel Osdorfer Born aufgewachsen. Sein Türkisch hat er auf der Straße gelernt und die Liebe zum Sanat von der Mutter seiner besten Freunde.

Heute ist er ein gern geladener Gast, wenn deutsche auf türkische Politiker treffen – als Beispiel umgekehrter Integration. Er ist in Altona zuhause, aber es zieht ihn auch oft nach Istanbul. Es sind die zwei Pole, zwischen denen sich seine Welt abspielt, und er hat gelernt, dass sie gar nicht so weit voneinander entfernt sind. „Wenn ich das Wasser am Bosporus rieche und die Möwen höre, dann fühle ich mich wie an der Elbe“, sagt er.

Die „Hüzün“-Tour ist seine erste, zwei Drittel des Publikums sind Türken. Irgendwann will er den Leuten in Istanbul auch die deutsche Musik ein bisschen näher bringen – mit Liedern von Grönemeyer oder Georg Kreisler. Es ist eine andere Musik, eine andere Sprache, es liegt weniger Herzschmerz im deutschen Gesang. Die türkische Sprache, sagt Rispo, ist blumiger. Und findet Worte für manches, was im Deutschen unausgesprochen bleibt. CARINA BRAUN

Mario Rispo: „Hüzün“, Sonntag, 20 Uhr, Hamburg, Delphi Showpalast