Die Konflikte in Sri Lanka sind komplexer als die Regierung vorgibt
: Verfolgte Tiger

Sicher, der am Freitag ermordete Außenminister Sri Lankas, Lakshman Kadirgamar, war kein Freund der tamilischen Rebellenorganisation LTTE. Der christliche Tamile galt stets als Hardliner in der Regierung und warnte Präsidentin Chandrika Kumaratunga immer wieder vor zu vielen Konzessionen an die Tamil Tigers. Die gezielte Liquidierung politischer Gegner zählt auch durchaus zu den Methoden der Rebellen. Das von langer Hand vorbereitete Attentat trug ihre Handschrift. Fast nie bekennen sie sich ausdrücklich zu einem Anschlag. Dass die Regierung also reflexartig unter den Mitgliedern der LTTE die Schuldigen sieht, erscheint logisch, ist aber gefährlich. Denn die Zuspitzung des Konflikts wird von anderen betrieben: von singhalesischen Nationalisten und tamilischen Dissidenten.

Seit Monaten klagen die Tamil Tigers über Angriffe paramilitärischer Gruppen auf ihre Leute und Infrastruktur. Seit dem Waffenstillstandsabkommen vom Februar 2002 verwalten sie ein Territorium im Norden des Landes autonom. Die im April 2004 abgespaltene Dissidentengruppe unter Major Karuna operiert vor den Augen der srilankischen Sicherheitskräfte. LTTE-Vertreter behaupten, unter deren Schutz. Anschläge auf LTTE-Kader gehören ebenso zum Repertoire der Karuna-Leute, wie Attentate, die der LTTE angelastet werden. Ihr Ziel deckt sich mit dem der militanten singhalesischen Nationalisten: die Schwächung der Tiger.

Ungewöhnlich rasch kam daher die Verurteilung des Attentats durch S. P. Tamilselvan, den Chef des politischen Flügels der LTTE. Es gibt gute Gründe, diese Verurteilung ernst zu nehmen. Tamilselvan hat kein Interesse daran, die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen zu verzögern oder gar den Krieg zu erklären. Spätestens nächstes Jahr stehen Wahlen an. Und auch wenn die Armeeführung vorerst Besonnenheit zeigt, so könnten sich doch radikale Kräfte, die immer schon für eine rein militärische Lösung des ethnischen Konflikts eingetreten sind, durch immer neue Anschläge gestärkt fühlen. Die Behörden wären also gut beraten, in alle Richtungen zu ermitteln. RALF LEONHARD