Wettlauf mit der Zeit in Bagdad

Heute soll Iraks Verfassungsentwurf vorliegen. Doch in zentralen Punkten gab es gestern zunächst keine Einigkeit

ERBIL taz ■ Die USA haben über das Wochenende den Druck auf die Iraker noch einmal erhöht, bis zum heutigen Montag einen Verfassungsentwurf zu verabschieden. Washington rufe ständig an und wolle wissen, was Stand der Dinge sei, sagte das kurdische Kommissionsmitglied Mahmud Osman. Noch nie seit dem alliierten Einmarsch sei der Druck der Amerikaner so stark gewesen, sagte Osman. In der vergangenen Wochen hatte der US-Botschafter Zalmay Khalilzad die bisher zumindest öffentlich geübte Zurückhaltung fallen gelassen und einen eigenen „Kompromissvorschlag“ eingebracht.

Trotzdem war bis Sonntagnachmittag kein Durchbruch bei den Verhandlungen in Sicht. Nur in einem der zentralen Streitpunkte, nämlich bei der Verteilung der Öleinnahmen, die die wichtigste Einnahmequelle des Landes bilden, zeichnete sich eine Annäherung ab. Demnach bleibt die Kontrolle über das Öl auch künftig in der Hand der Zentralregierung, diese muss die Einnahmen jedoch an die 18 Provinzen gemäß ihrer Bevölkerungsgröße und ihren „besonderen Bedürfnissen“ umverteilen. Auf dieser Formulierung hatten Kurden und Schiiten bestanden, in deren Regionen die großen Ölfelder liegen. Dass Bagdad die Kontrolle über das Öl behält, hatten die sunnitischen Araber und die USA verlangt.

Dieses Zugeständnis konnte die sunnitisch-arabische Minderheit freilich nicht zum Einlenken im Streit um den Föderalismus bewegen. „Wir halten an unserem Standpunkt fest“, sagte der sunnitische Vertreter Kamal Hamdun. „Föderalismus bedeutet Spaltung. Wir wollen keinen Föderalismus.“ Darüber hinaus drohten einige Sunniten mit einem Boykott der weiteren Verhandlungen, sollte das Stammesrecht nicht in die Verfassung aufgenommen werden. Obwohl der Stammeskodex auch heute in vielen Regionen gilt, hätten damit vor allem die Frauen gar keinen Schutz mehr vor der patriarchaler Willkür

Fortschritte bei den Verhandlungen gab es bis zum späten Sonntagnachmittag nur zwischen den Schiiten und Kurden. Im Gegensatz zu den Sunniten akzeptieren die Kurden den von Schiiten geforderten Teilstaat im Südirak. Zudem willigten sie laut Osman ein, dass den Geistlichen in Nadschaf eine „Führungsrolle“ zugestanden wird.

Ins Wanken geraten sind unterdessen bereits getroffene Kompromisse um Kirkuk. Für die Kurden ist die Rechnung ganz einfach – selbst wenn die Schiiten in ihrem Teilstaat die Scharia einführen, berührt sie das nicht, solange der Quasistaat Kurdistan nicht angetastet wird. Jede Einigung zwischen Schiiten und Kurden ist ohne die Zustimmung der Sunniten freilich hinfällig – mit einem negativen Votum in den drei Provinzen, in denen sie die Mehrheit bilden, können sie die Verfassung beim für den Herbst geplanten Referendum scheitern lassen. INGA ROGG