piwik no script img

Nils Schuhmacher Hamburger SoundtrackVerschmelzende Blech- und Fleischmassen

Lieber Soundtrack vom 17. August,

die Sommerzeit ist ein Verdichtungsraum. Man muss nur auf die Autobahn gehen, auf einen Flughafen, auf eines der zahlreichen Open-Air-Festivals oder in eines der nicht mehr ganz so zahlreich offen gehaltenen Freibäder: An diesen Orten verschmelzen Blech- und Fleischmassen, der Gesamtkörper will gaffen oder weg oder sich ins Delirium saufen oder wenigstens eine Rutsche besetzen.

Wissenschaftler/innen unterschiedlicher Couleur sind sich uneinig, was dies in der Konsequenz für unser Zusammenleben bedeutet. Kommen wir nicht mehr voneinander los, könnten Gewalt und Aggression vorprogrammiert sein. Sagen die einen. Die anderen sprechen lieber vorsichtig von „komplexen Zusammenhängen“. Aber wie man es auch dreht und wendet: Schuld daran hat gar nicht der Sommer an sich, es ist der Klimawandel. Verursacht wiederum durch Autofahrten und Flüge. Und, ja, auch durch Festivals, die ihren ganz eigenen CO2-Abdruck hinterlassen.

Die entsprechend überführten Musikfreund/innen reagieren natürlich auf diesen ernüchternden Befund. So hieß es etwa im Juni 2019 – etwas doppelbödig – in der Jetzt: „Dass dort zu viel Müll produziert wird, heißt nicht, dass wir uns keine Gedanken machen.“ Und unter uns gesagt: Dass dort viel Müll produziert wird, ergibt sich ja schon daraus, dass hier nicht nur ein Hauptact und eine Vorband aufeinandertreffen, sondern diverse Headliner auf eine Unzahl von Openern, deren Hoffnung auf ein Morgen noch lebt.

Zur Gesamtwahrheit gehört aber auch, dass jede Verdichtung Lücken an anderen Stellen aufreißt. Und die tun uns gut. Wir bleiben zu Hause, in der Lücke, und tun, als wenn überhaupt nichts wäre. Und erst in zwei Wochen, wenn die Hitze mal vorbei ist und alle Verdichtung abgeschwollen, kommen wir wieder raus, ziehen unsere Übergangsjacke an und gehen zu Fuß auf ein weitgehend klimaneutrales Miniatur-­Konzert. Zum Beispiel zu The Beths (22. 8., Hafenklang): Die neuseeländische Indierock- oder besser ­Powerpop-Band klingt in ihrem Melodienreichtum nach sommerlicher Leichtigkeit. Sie hat ihre Debüt-LP aber „Future hates me“ genannt. Apropos Futur: Schon auf der nächsten Tour dieser Band wird es dann überall sehr voll gewesen sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen