berliner szenen
: Keine Lust auf Woodstock

Es ist heiß am Nachmittag und es wird immer heißer. Die Sonne wird aber gedämpft durch nasse Handtücher und Vorhänge, die auf dem Balkon zwischen Sonne und Zimmer hängen. M. ruft an und erzählt, dass heute Abend im Fernsehen der Woodstockfilm laufen würde und erklärt, was es mit Woodstock auf sich habe und möchte mich dazu bringen, mit ihm heute Abend diesen Film zu gucken, der bekanntlich mit „Freedom“ von Richie Havens beginnt. Fröhlich singt er „Freedom, Freedom“ in einem leicht opamäßigen Tonfall und dass er sich manchmal wie ein mutterloses Kind fühlen würde, während ich ein bisschen mürrisch bin, weil ich an diesem Tag immer noch nichts auf die Reihe bekommen habe.

Dazu muss gesagt, werden dass M. sechs Jahre älter ist als ich und über eine linksradikale Identität verfügt hatte, die er immer wieder gerne auspackt. Und deshalb meint er jedenfalls, sich in Sachen Woodstock besser auszukennen, als ich. Dabei kann ich den Woodstockfilm auswendig, inklusive der Bühnenansagen und dem „Crowd Rain Chant“! Meine große Schwester hatte mich nämlich mit 14 in den Woodstockfilm mitgenommen. Dann hatte ich noch den tollen Isle-of-Wight-Film gesehen und war mit Freaks befreundet gewesen, die jeden Tag Woodstock guckten und hatte die entsprechende Literatur – Hesse, Freak Brothers, Huxley und Tolkien – studiert und letztes Jahr – wegen 50-Jahre-68 – „Do It!“ von Jerry Rubin noch einmal gelesen. Unter dem Impressum der Rowohlt-Ausgabe steht tatsächlich: „Read this book stoned.“ Kicher.

Während er „Do It!“ in bester Erinnerung hat, finde ich es grauenhaft und habe keine Lust mit ihm „Woodstock“ zu gucken. Als ich ein paar Stunden später meine Meinung ändere, entdecke ich, dass Woodstock erst in zwei Wochen gezeigt wird.

Detlef Kuhlbrodt