ERASMUS UND ORGASMUS
: Selbstbedienung

Coole Tattoos ersetzen keine Ausstrahlung

Ich bin der Meinung, wir verhalten uns vollkommen korrekt, bis vielleicht auf die Ausnahme, dass wir hier anwesend sind. Doch das hätte ich normalerweise nicht für ein Problem gehalten, schließlich besuche ich den Salon in unregelmäßigen Abständen seit Jahren. Seit es ihn gibt.

Allerdings bin ich älter geworden und meine Begleiterinnen ebenfalls. Das habe ich nicht berücksichtigt. Wir passen wohl nicht mehr so richtig in das Profil des Hauses. Jedenfalls schließen wir das aus dem Verhalten der Kellnerin, einer Mischung aus Faulheit, Ignoranz und fast schon grotesker Feindseligkeit.

Ach ja, und Dummheit. Vielleicht hätten wir nicht lachen sollen, als sie unseren Wunsch nach Aufnahme der Bestellung von vier Getränken mit den Worten kontert: „Moment, ich hol erst mal ’nen Block zum Aufschreiben.“ Und für ziemlich lange Zeit verschwindet. Wobei ich Stein und Bein schwöre, dass wir absolut freundlich und nett gelacht haben und nicht etwa höhnisch und meckernd.

Am Nebentisch sitzt ihre Peer-Group aus schönen und jungen Menschen mit gewiss recht spannenden Lebensläufen, in denen Erasmus und Orgasmus einander mit slapstickhafter Geschwindigkeit die Klinke in die Hand drücken. Aber ich bin nicht neidisch. Allenfalls auf ihre Getränke, die sie von der Kellnerin bekommen. Die prostet ihnen mit einem Jägermeister zu. Auf ihrem Rückweg an mir, der ich schüchtern winke, vorbei, blickt sie kalt durch mich hindurch. Danach verschanzt sie sich erneut hinter ihrem Tresen.

Nur ein einziges Mal lässt sie sich noch blicken, um uns mitzuteilen: „Nur zu eurer Information: Ab jetzt ist hier Selbstbedienung.“ Der beleidigte Tonfall passt überhaupt nicht zur Situation. Dafür umso mehr zu ihr. Coole Tattoos ersetzen nun mal keine Ausstrahlung. Schade, in den Salon kann man auch nicht mehr gehen. ULI HANNEMANN