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Archiv-Artikel

Von oben herab

Von FAY

„Wenn mich diese olle Welt mal wieder runterzieht/ die ganzen Menschen mir zu viel werden/ dann steige ich die Treppen bis zum Dach hinauf/ und all meine Sorgen lösen sich in Luft auf.“ Oh, wie romantisch. Carole King und Gerry Goffin haben 1962 den Song „Up on the Roof“ geschrieben, mit der die Doo-Wop-Gruppe The Drifters ihren größten Hit landete. Das Rumhängen auf Dächern gehört zu den beliebtesten Großstadtfantasien und symbolisiert die Flucht aus dem wuseligen Alltag im organisierten Chaos. Dort kann man sich die Sterne ansehen oder erhaben auf das Durcheinander in den Straßen herabschauen. „Auf dem Dach ist es so friedlich wie es nur sein kann/ und die Welt da unten kann mich nicht belästigen“, singen The Drifters in ihrem Hoffnungslied, das unzählige Male gecovered wurde. Es ist schwierig, Geschichten über die Bandmitglieder zu erfahren, weil es sich um etwa 60 Sänger handelt. Nein, natürlich saßen sie nicht alle gemeinsam auf dem Dach, sondern ersetzten einander fortwährend. The Drifters waren die vielleicht unbeständigste Band der Musikgeschichte. Eigentlich waren sie nicht mal eine richtige Band, eher ein Projekt des Musikmanagements, das die unterbezahlten Musiker von 1953 bis 76 ganz nach Belieben immer wieder auswechselte.

Die Bildsprache von „Up on the Roof“ wird häufig im Kontext von New York betrachtet und wurde auch bei dem öffentlichen Gedenkkonzert nach 9/11 von James Taylor live performt. Nicht nur weil New York als amerikanische Bilderbuch-Großstadt schlechthin gilt, die im Text gemeint sein könnte, sondern auch weil das Lied im legendären Brill Building auf dem Broadway geschrieben wurde, wo Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre unzählige Pophits entstanden sind. Im Bürogebäude Brill Building waren 1962 über 150 unabhängige Labels und Verlage ansässig, die kontinuierlich neue Songs für die jugendliche Zielgruppe produzierten. Nach einer ersten heftigen Welle des rebellischen Rock ’n’ Roll, brachten die Brill-Building-Unternehmer den Markt wieder unter Kontrolle, indem sie viel mehr Arbeit in Songkonzepte investierten als in die Ausbildung von unersetzbaren Stars. Der Einfluss sollte wieder beim Management liegen, nicht bei einem individuellen Performer. Dieser wurde lediglich zum auswechselbaren Dienstleister.

Weniger unbarmherzig als das Business und nur fast so romantisch wie der Song geht es am Sonntag beim „Auf den Dächern“-Festival im Osthafen zu, das man beim Public Viewing an der Fernsehwerft inmitten der Masse verfolgen kann. FAY

■ Auf den Dächern: Public Viewing auf dem Gelände der Fernsehwerft, Friedrichshain. Eintritt frei