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Nachhaltige Begegnungen

Für seine Porträts ist Ingar Krauss bekannt. Die Galerie Pankow stellt sie neben neue Natur- und Landschaftsaufnahmen

Ingar Krauss, Wanderarbeiter, Klaistow 2007 Foto: Galerie Pankow/Ingar Krauss

Von Brigitte Werneburg

Faszinierend, manchmal auch irritierend, wie unterschiedlich ein und dasselbe Foto an der Wand oder im Buch wirkt. Die Aufnahme der großen Tanne, die zwischen einer weiß gestrichenen Wellblechwand und einer dunklen, überaus exakt beschnittenen Hecke hoch aufragt, fiel im Rundgang durch Ingar Krauss’ Ausstellung „Lichtungen“ in der Galerie Pankow besonders auf. Aber in dem wunderbaren Bildband „Hütten, Hecken, Haufen“, der anlässlich der Ausstellung gerade bei Hartmann Books erschienen ist (Hrsg. Annette Tietz, Deutsch/Englisch, 88 Seiten, 54 Triplex-Abbildungen, 38 Euro), musste sie erst gesucht und gefunden werden. Da fehlte ihr die zuvor gesehene überdeutliche Signifikanz.

Fotografie und Fotobuch sind das große symbiotische Gespann der visuellen Moderne des 20. Jahrhunderts. Die berühmtesten Fotografien dieses Jahrhunderts hat man nie anderswo als im Bildband gesehen. Man denke nur an Aufnahmen in Robert Franks „The Americans“. Will man diese Aufnahmen wirklich an der Wand sehen? In welcher Größe möchte man sie dann eigentlich sehen? Im gängigen Print-Format der 1950er Jahre von 13 mal 18 cm? Oder richtig groß? Weil man das jetzt kann? Denn das macht heute den größten Unterschied zwischen Wand und Band aus: das große Format, in dem der Fotoabzug nun erstellt und entsprechend das Bild präsentiert werden kann.

Doch dieser Unterschied ist es dieses Mal nicht, der die Bilder der Gärten aus dem ländlichen Brandenburger Raum in der Ausstellung und im Buch je ganz eigen wirken lässt. Denn das moderate Format ist hier, eingefasst in ein breites weißes Passepartout, nicht größer als dort. Doch steht man vor den gerahmten Bildern, dann sprechen die Aufnahmen von sorgsam angelegten Beeten, akkurat beschnittenen Hecken und untadelig aus Plastikfolie errichteten Gewächshäusern ganz anders zur BetrachterIn. Die Distanz zum Bild und der umgebende Weißraum der Wand treiben den Bildern die Idylle aus, die sie im Bildband durchaus zeigen.

Was daran liegen mag, dass in der Ausstellung Form und Anordnung der Dinge dominieren, während man sich beim Blick ins Buch eher in Mustern und zarten Strukturen verliert. Die Arbeit in Zyklen, obwohl sie der Titel des Bands schon als konstitutiv für das künstlerische Vorgehen des 1965 in Ostberlin geborenen Fotografen benennt, ist noch einmal deutlicher wahrzunehmen. Was „Lichtungen“ anstrebt, die Entwicklung und auch die Wiederkehr des Themas Natur im Werk des Fotografen in Gänze aufzuzeigen, angefangen bei den frühen Porträts von 2001 bis eben hin zu den aktuellen seriellen Arbeiten aus diesem Jahr, gelingt aufs Schönste.

Er wirkt selbst wie ein Baum, so ruhig und mächtig, wie er dasteht

Die Porträts haben Ingar Krauss bekannt gemacht. Die Kinder, Hannah mit dem verwehten Haar, Sophia im Badeanzug, gebeugt, als suche sie etwas im morastigen Boden, und besonders bezaubernd Kaluga, ebenfalls im Badeanzug und mit einem Schilfhalm in den Händen, finden sich im ersten Raum: mächtige Schwarzweißformate, zwischen denen die Großaufnahmen stacheliger Robinienzweige, haariger Kastanienknospen oder senkrecht gestapelter Maisblätter und einer Tomate hängen, wobei der Künstler Mais und Tomate ein wenig grüne und rote Ölfarbe gönnte, mit der er die Blätter lasierte.

Im zweiten Raum begegnet man den Saisonarbeitern von Brandenburgs Spargelfeldern, ein junger Wanderarbeiter in weißer Schürze und weißen Ärmelstulpen steht 2007 in Klaistow vor einem Baum. Er wirkt selbst wie ein Baum, so ruhig und mächti,g wie er dasteht und den Blick des Fotografen, jetzt der BetrachterIn konfrontiert. Der Zauber, der den Fotografien von Ingar Krauss innewohnt, er rührt wohl aus der großen Ruhe und Gelassenheit her, mit der die Menschen, aber auch die Dinge zunächst dem Künstler und dann auch den BetrachterInnen begegnen. In Krauss’ Bildentwürfen kommen sie uns entgegen, und nicht wir scheinen voyeuristisch auf sie zuzustolpern.

Das gilt auch für die Hütten, Hecken und Haufen, die in Raum drei und vier zusehen sind. Haufen meint dabei das aufgeschichtete und aufgetürmte Holz wie es sich in Wäldern findet, hier konkret im Schwarzwald, handle es sich um Totholz, das aus dem Forst geräumt wird, oder frisch eingeschlagene Stämme. Auch diesen Haufen sollte man unbedingt im Galerieraum sehen, so plastisch wird er einem nur hier entgegentreten. Doch gleichgültig ob Galerie oder Buch: beides sind exklusive, nachhaltige Begegnungen in Zeiten von Instagram und YouTube.

Bis 28. Juli, Galerie Pankow, Breite Straße 8, Di.–Fr. 12–20, Sa., So. 14–20 Uhr

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