Vertriebene beantragen Kirchenasyl

Verbandspräsidentin Steinbach will „Zentrum gegen Vertreibungen“ in ruinösem Berliner Gotteshaus einrichten. Der CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel drohen kritische Fragen bei ihrem morgigen Besuch in Warschau

BERLIN taz ■ Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, hat offenbar einen Standort für ihr geplantes „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin gefunden. Nach Zeitungsberichten will sie das Zentrum in der katholischen Sankt-Michaels-Kirche an der Grenze zwischen den Stadtteilen Mitte und Kreuzberg unterbringen. Ein Sprecher des Erzbistums Berlin bestätigte am Wochenende, dass es entsprechende Gespräche mit dem Verband gebe.

Derzeit nutzt die Gemeinde das Querschiff der Kirche für Gottesdienste. Steinbach, die zusammen mit dem früheren SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz die Stiftung zur Förderung des Zentrums leitet, will das kriegszerstörte Längsschiff für Ausstellungszwecke wieder aufbauen lassen. Noch vor dem Wiederaufbau will die Stiftung Ende 2006 in der Ruine die Ausstellung „Das Jahrhundert der Vertreibungen“ zeigen.

Die 1861 eingeweihte Kirche ist das zweitälteste katholische Gotteshaus im einst rein protestantischen Berlin und gehört heute zur Domgemeinde Sankt Hedwig. Das finanzschwache Erzbistum Berlin ist schon lange auf der Suche nach neuen Nutzern für Kirchengebäude, um Unterhaltskosten einzusparen. Der SPD-Außenpolitiker Markus Meckel erklärte allerdings, gerade der „sakrale Charakter“ eines Kirchengebäudes werde die Bedenken gegen das geplante Zentrum noch verstärken. Nach einem Bericht des Berliner Tagesspiegels regt sich auch im Kirchenvorstand der Domgemeinde Widerstand gegen die Pläne der Vertriebenen.

Steinbach betreibt ihr Projekt derzeit ohne Unterstützung der öffentlichen Hand. Die rot-grüne Bundesregierung hat sich wie auch der rot-rote Berliner Senat klar gegen die Pläne für ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ ausgesprochen. Stattdessen treibt Kulturstaatsministerin Christina Weiss gemeinsam mit ihren Amtskollegen aus Polen, Ungarn und der Slowakei die Pläne für ein länderübergreifendes „Netzwerk Erinnerung und Solidarität“ voran. Es soll als Stiftung polnischen Rechts mit Sitz in Warschau entstehen.

Durch Steinbachs Vorpreschen bekommt die Polenreise von CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel am morgigen Dienstag besondere Brisanz. Merkel befürwortet Steinbachs Pläne für das Zentrum und steht deshalb in der polnischen Öffentlichkeit seit langem in der Kritik, obwohl ihre außenpolitische Grundhaltung einer größeren Distanz zu Russland in Warschau eigentlich begrüßt wird.

Bei ihrem Treffen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Marek Belka wird sie sich neben den offiziellen Themen wie dem EU-Haushalt und der europäischen Verfassung deshalb auch kritischen Fragen zu ihrer Vergangenheitspolitik stellen müssen. Außerdem trifft Merkel mit Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski zusammen.

Befürchtungen der polnischen Regierung, mit dem Zentrum würde die Rolle Deutschlands als „Täter“ des Zweiten Weltkrieges verwischt, hatte Merkel bereits zurückgewiesen. „Ich werde sehr deutlich machen, dass Deutschland damit nicht irgendwelche geschichtlichen Abläufe neu aufrollen will. Die Schuldfragen sind vollkommen geklärt“, sagte Merkel. Offen ließ sie, ob eine unionsgeführte Regierung das Zentrum aus Bundesmitteln unterstützen würde. RALPH BOLLMANN