„Manche wollen nicht hinsehen“

Dass Neumünster den Nazis wichtig ist, lasse sich nicht bemerken, sagt der Musiker und Sänger Henning Sievert

Henning Sievert, 30, ist Sänger und Gitarrist der Punkband „The Detectors“, gegründet in Neumünster, Sievert lebt in Kiel.

Protokoll Marthe Ruddat

Die Holsten-Galerie in Neumünster ist so eine Art neues Zentrum im Zentrum. Sie ist das Prestigeobjekt der Stadt. Junge Leute hängen da ab, die Menschen gehen dahin, um einzukaufen und etwas zu erleben. Und jetzt ist da ein Tattoo-Laden drin, hinter dem Rocker mit rechtsextremem Hintergrund stehen.

Bei der Firma, die hinter dem Shopping-Center steht, gibt es einen Verhaltenscodex, eine Art Ethikdokument. Neulich wurde die Managerin, die für die Vermietung der Läden verantwortlich ist, in einem Interview mit dem Freien Radio Neumünster gefragt, wie diese ethischen Wertvorstellungen denn mit der Nazi-Vergangenheit und der Geschichte der organisierten Kriminalität der Betreiber zusammenpassen. Sie antwortete, sie habe nur geschäftliche Beziehungen zu den Männern und sie als freundlich und kreativ kennengelernt. Alles andere sei ja deren Privatsache. Sie sagte, es würde jetzt kurz darüber geredet, aber dann sei das Thema bestimmt bald wieder vergessen.

Diese Aussagen sind erschreckend. Das Ethikbekenntnis des Unternehmens scheint nicht mehr zu sein als reine PR. Die Frau zieht sich aus der Verantwortung und spielt die Gefahren herunter, manche wollen einfach nicht hinsehen. Genau so können sich rechte Meinungen und Haltungen etablieren. In Neumünster ist das schon passiert.

Ich bin in einem Dorf in der Nähe aufgewachsen. Ich glaube, jeder, der aus Neumünster kommt und ein bisschen politisch interessiert ist, merkt schnell, dass die Stadt für Neonazis eine Bedeutung hat – auch überregional.

Meine Jugend habe ich im Jugendzentrum AJZ verbracht. Die „Titanic“, ideeller Nachfolger des „Club 88“, liegt nur einen Steinwurf entfernt. Ich bin zum Glück nie von Rechten angegriffen worden. Aber ich weiß, dass es diese Vorfälle gab. Es gab militante nationalistische Kameradschaften, die Personen und Institutionen angegriffen haben. Einer meiner besten Freunde war Sprecher des „Bündnisses gegen Rechts“. Der ist eine Zeit lang untergetaucht, weil sein Auto und sein Wohnort angegriffen wurden.

Ich halte es für extrem wichtig, sich weiter dagegen zu wehren. Mit meiner Band habe ich vergangenes Jahr bei einem Festival gegen die „Titanic“ gespielt. Wir sind Paten einer Schule gegen Rassismus. Mir ist es wichtig, den Blick nach Neumünster nicht zu verlieren, auch wenn ich jetzt in Kiel lebe. Die meisten ziehen nach dem Schulabschluss ja weg aus Neumünster. Die, die ein Bewusstsein für die Probleme in der Stadt haben, versuchen aber oft, die engagierten Gruppen vor Ort weiter zu unterstützen – und davon gibt es zum Glück einige.