JÜRGEN GOTTSCHLICH ÜBER DIE NEUE TÜRKISCHE AUSSENPOLITIK
: Demonstrativ desinteressiert

Die Türkei will nicht mehr der Brückenbauer zwischen Israel und seinen Nachbarn sein

Lange war die Türkei das einzige überwiegend muslimische Land, das diplomatische Beziehungen zu Israel unterhielt. In den 1990er-Jahren, als Syrien Abdullah Öcalan und seine PKK beherbergte, wurde daraus sogar ein intensives Militärbündnis. Als 2002 die islamische AKP die Regierung übernahm, sah es zunächst so aus, als sollte sich an dem Verhältnis nicht allzu viel ändern. Die Militärs beider Länder trafen sich regelmäßig, und israelische Touristen bevölkerten die Strände der Türkei.

Nachdem sich auch das Verhältnis zu Syrien entspannt hatte, versuchte sich die Türkei sogar als Vermittler zwischen den beiden seit Jahrzehnten verfeindeten Ländern, zunächst auch durchaus mit Erfolg. Zwar geistern durch die muslimische Anhängerschaft der AKP seit langem antisemitische Stereotype, doch Regierungs- und Parteispitze solidarisierten sich mit den Juden im Land, beispielsweise nach den Al-Qaida-Anschlägen auf zwei Istanbuler Synagogen 2004. Die Wende kam mit dem Gazakrieg. Die Regierung sah sich in ihren Vermittlungsbemühungen düpiert, kritisierte Israel scharf und setzte auch bei den letzten Kommunalwahlen zu Beginn dieses Jahres voll auf das antijüdische Ressentiment.

Offenbar will die AKP-Regierung nicht mehr als Brückenbauer zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn fungieren. Stattdessen strebt sie nun eine Führungsrolle im muslimischen Lager an. Sonst hätte man nicht Israels Luftwaffe hinausgeworfen und im Staatsfernsehen keine antisemitischen Filme gezeigt. Ministerpräsident Erdogan und sein Außenminister Davutoglu halten sich in ihrer Rolle als „neue Osmanen“ für so erfolgreich, dass sie glauben, auf den Westen immer weniger Rücksicht nehmen zu müssen. Das demonstrative Desinteresse an dem Fortschrittsbericht aus Brüssel in dieser Woche macht das noch einmal deutlich.