Vom Huhn zum Ei

Die Region Hannover hat das Projekt „Lernort Bauernhof“ gestartet. Kinder sollen die Landwirtschaft entdecken und praktische Erfahrungen sammeln. Zum Beispiel: Wie kommt das Küken ins Ei und warum hören alle Rinder auf den gleichen Namen?

Foto: Zukünftige Suppenhühnchen, hier noch in der Ei-Produktion tätig Foto: Birgit Roos

Von Katharina Gebauer

Die 16 Kinder, die im Kreis sitzend auf dem Eschehof in Springe Katrin Bartels zuhören, können ihre Füße vor Aufregung kaum stillhalten. Bartels ist Bauernhofpädagogin und erklärt den Kindern die Geschichte des Hofs, der seit Anfang des 19.Jahrhunderts im Familienbetrieb und seit 1986 als Biolandbetrieb geführt wird. Anhand verschiedener Gegenstände, die die Kinder blind aus einem Korb ertasten wie ein Ei, eine Hühnerfigur, eine Weizenäre und eine Tomate, erfahren sie, was alles auf dem Bauernhof angebaut und gehalten wird. Der Schwerpunkt heute: alles rund ums Huhn.

„Den Kindern Landwirtschaft näher zu bringen, ist unglaublich wichtig“, sagt Franziska Pöschel, die Lehrerin der Grundschulklasse der Astrid-Lind­gren-Grundschule in Sehnde, die heute hier ist. „Viele denken, ihre Eier und ihre Milch kommen aus dem Supermarkt und das war’s.“ Das Angebot findet im Rahmen des umweltpädagogischen Projekts „Lernort Bauernhof – Kinder entdecken die Landwirtschaft“ der Region Hannover statt. Kooperationspartner sind der Verein Landvolk Hannover, die Kreislandfrauen und die Forscher-Kids der Region Hannover. Das Ziel: Grundschulkinder sollen Umwelt- und Verantwortungsbewusstsein im Bereich Landwirtschaft und Ernährung unter pädagogischer Begleitung erlernen.

Von dem dreitägigen Programm findet einer auf dem Bauernhof statt, die Kinder schlafen und kochen in einer benachbarten Jugendherberge. Für Birgit Roos vom Fachbereich Umwelt der Region Hannover ist es sinnvoll, „schulische Bildungsinhalte für die Kinder praktisch erlebbar zu machen. Was man anfassen, riechen oder schmecken kann, ist viel begreifbarer und verständlicher.“

Das Hühnermüsli wird mit Muschelkalk angereichert. Dadurch werden die Eierschalen robust

Nach der einführenden Erzählung über den Hof zeigt Bartels mithilfe einer Stoffpuppe, wie Küken entstehen: Die Henne legt ihre befruchteten Eier nach und nach in ihr Nest, bis sie fünf bis zehn beisammen hat. Dann geht es ans Brüten, Mutter Huhn kann immer nur für kurze Zeit Futter suchen, denn die Eier müssen 21 Tage lang konstant warm gehalten werden. Verlässt die Mutter für mehr als eine halbe Stunde das Nest, sterben die Küken im Ei. Auch muss der Nachwuchs möglichst gleichzeitig schlüpfen, denn während sie sich um ihre Kinder kümmert, kann die Henne die restliche Brut nicht warm halten. Deshalb spricht sie sich vorher mit ihrem Nachwuchs ab. Wie, hat die Forschung noch nicht rausgefunden.

Nach der Lehrstunde über das Schlüpfen sind die Zweitklässler*innen für das Futter der Hühner zuständig. In Dreiergruppen müssen sie Weizen und Futtererbsen abwiegen und anschließend in der Handmühle mahlen. Daraus entsteht ein Hühnermüsli, dass noch mit Muschelkalk angereichert wird. Bartels erklärt warum: „Muscheln sind eine natürliche Ressource für die Kalkzufuhr der Hühner, dadurch wird die Eierschale schön robust.“

Nach einer kleinen Pause geht es in das Hühnergehege, wo die Schüler*innen das selbst gemachte Hühnerfutter verfüttern. Die 600 Hühner, die in dem Gehege mit Stall leben, gackern schon hungrig, als sich die Kinder ihnen nähern. Die Gruppe der gezüchteten Hy­brid-Rasse „Lohmann Brown“ besteht aus acht Hähnen und 592 Hennen – so werde am besten das natürliche Sozialgefüge der Hühner nachgebildet. Die Hennen legen etwa alle 27 Stunden ein Ei, was insgesamt 300 Eier pro Jahr macht. Die angezüchtete hohe Legeleistung nimmt bereits nach 18 Monaten ab. „Dann werden die Hennen als Suppenhühner im Hofladen verkauft“, sagt Bartels leise. Dieses Hintergrundwissen über die Zuchtlinie und die Konsequenzen für das Hühnerleben bleibt bei der Erlebnis-Lehrstunde für die Kinder aus.

Franziska Pöschel dagegen will auch die Schlachtung als Thema in ihren Unterricht einbeziehen. Im nächsten Schuljahr will sie das Erlebte mit den Kindern evaluieren: „In der dritten Klasse werden wir uns mit Bauernhoftieren befassen. Dazu gehört, dass sie eben keine Haustiere, sondern Nutztiere sind.“ Dabei sei es ihr wichtig, den Unterschied zwischen herkömmlicher Tierhaltung und Bio zu thematisieren und nicht zu leugnen, dass die Tiere letztlich auf dem Teller landen. „Es soll nichts schön geredet werden“, sagt sie. Roos ergänzt: „Es sind sowohl konventionelle als auch Bio-Betriebe eingebunden. So, wie es der Realität vor Ort entspricht.“ Nicht überall stehen Bio-Betriebe zur Verfügung.

Foto: Nichts für Veganer*innen:Eier begutachtenFoto: Birgit Roos

Bevor es zurück in Richtung Landheim geht, dürfen die Kinder über die Weiden zu den Schottischen Hochlandrindern, die alle auf den Namen Agathe hören. Kaum gerufen, traben die vier 500 Kilo bis eine Tonne schweren Tiere zum Gatter und pressen ihre weichen Schnauzen durch das Zaungitter. Vorsichtig fressen sie Karotten aus den Kinderhänden. Die erste Kuh des Bauernhofs hatte schon Agathe geheißen, erklärt Bartels. Die Bauern hätten schnell gemerkt, dass immer auch alle anderen Kühe kamen, wenn sie nach Agathe riefen – so hätten sich weitere Namen erübrigt. Am 5. Juli können Kund*innen das Fleisch einer bereits geschlachteten Agathe im Bio-Hofladen abholen.

Zum Abschluss gibt es noch eine Führung durch die Gewächshäuser, wo saisonal Tomaten, Rhabarber und anderes Gemüse angebaut wird. Die Region Hannover ist erfreut über das Interesse der Grundschulen. Wegen der zahlreichen Anfragen gibt es nach den Pilotterminen noch vier weitere Termine in diesem Jahr. „Wir wollen in der zweiten Jahreshälfte evaluieren und entscheiden, wie es 2020 mit dem Projekt weitergeht“, sagt Roos.