Stefan Hunglinger über die Dibobe-Petition
: Gedenken auf dem Gehweg

Irgendwie ist der Auftritt dieses Anzugträgers – wahrscheinlich ein Geschäftsmann in Eile – bezeichnend. Er drängt sich durch die Gruppe von etwa 40 Menschen, die sich am Montagnachmittag auf dem Gehweg vor der Wilhelmstraße 52 zusammengefunden hat, um hier der sogenannten Dibobe-Petition vor 100 Jahren zu gedenken. Den Versammelten gegenüber – darunter viele Schwarze und Personen of Colour – besteht der Anzugmann auf seinem „Das ist ein Gehweg“-Recht, obwohl er sehen muss: Hier geht es um etwas Feierliches. Erst als er den Senator inmitten der Gruppe erblickt, tritt er den Rückzug an und wechselt beschämt die Straßenseite.

Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und grüne Landesparlamentarier*innen waren gekommen, um der Enthüllung einer Erinnerungstafel an die antirassistische Petition von 1919 Anerkennung zu zollen. „Unglaublich verspätet“ käme die Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit von offizieller Seite, so Lederer. Es sei zivilgesellschaftlichen Initiativen zu verdanken, dass Berlin nun erste Schritte tue. Initiiert und umgesetzt haben diese Tafel denn auch der Verein Berlin Postkolonial, die Historikerin Paulette Reed-Anderson und die Gestalterin Helga Lieser. Die Tafel wird künftig zwar nicht den Gehweg blockieren, aber doch stören: nämlich das Vergessenwollen der deutschen Kolonialzeit im öffentlichen Raum, auf der geschäftigen Wilhelmstraße, wo sich bis 1920 noch das Reichskolonialministerium befand.

Bewusste Lücken

„Die Erinnerungslücken an die Kolonialzeit sind keineswegs unbewusste“, so Christian Kopp von Berlin Postkolonial bei der Einweihung, sondern Ergebnis aktiver Verdrängung. Mit der Tafel solle „am Ort der Täter an die Geschichte des Widerstands“ erinnert werden. Kopp nennt die Petition ein zentrales Dokument für die Geschichtsschreibung des Kolonialismus, das sich in Schulbüchern wiederfinden müsse.

Während der Versailler Friedensverhandlungen hatten sich 1919 Martin Quane a Dibobe und 17 weitere aus dem heutigen Kamerun und Tansania stammende Unterzeichner an die Natio­nalversammlung in Weimar gewandt, um gegen den systematischen Bruch der Völker- und Menschenrechte im kaiserlichen Kolonialreich zu protestieren. In der Wilhelmstraße wurde die Petition übergeben. Sie forderte „Gleichberechtigung und Selbstständigkeit“ für Menschen in und aus den deutschen Kolonien. Ein Innehalten vor dieser Geschichte sollte Vorbeieilenden nicht erst ein weißer Senator abverlangen.