: Nichts Lastendes bleibt
Wenn die Stadt, der Wald, das Land zu schwingen beginnen: Die Galerie Parterre widmet der Malerin Louise Rösler (1907–1993) eine Ausstellung. Ihre Bilder feiern das Lebendige
Von Katrin Bettina Müller
Mit dem Zug nach Paris, das war aufregend. Wenn man voller Erwartung ist, die Stadt ihre ersten Vibrationen aussendet, man kaum noch sitzen bleiben kann, obwohl draußen längs der Schienen nur die Rückseiten der Häuser zu sehen sind. Etwas von dieser Ungeduld und Vorfreude, aber auch von der Offenheit, jedes Detail begierig in sich aufzunehmen, ist zu finden in Louise Röslers Bild „Kleine Einfahrt“ (Paris, 1937). Mit großen Buchstaben, Werbebotschaften, sind die Mauern beschriftet, an denen der Zug vorbeigleitet, und die Fensterreihen der weiter entfernt liegenden Häuser muten ebenfalls wie Textzeilen an. Wie ein Buch, nein, wie eine Bibliothek hintereinander gestaffelter Texte präsentiert sich die Stadt.
Louise Rösler, der die Galerie Parterre in Pankow eine Ausstellung widmet, war 1928, mit 22 Jahren, zum Studium nach Paris gekommen. Schon mit 16 Jahren hatte sie, deren Eltern ebenfalls Künstler waren, ihre Ausbildung in München begonnen, wechselte 1925 nach Berlin an die Kunsthochschule, die gerade mal seit sechs Jahren auch Frauen zum Studium zuließ. Aber Berlin reichte ihr nicht, und wie so viele junge Malerinnen zog sie nach Paris, studierte in Ausstellungen die Werke von Utrillo, Cézanne, Matisse, Derain und Picasso; unternahm mit ihrem Kommilitonen und späteren Ehemann Walter Kröhnke Studienreisen nach Italien, Spanien, Südfrankreich.
Der Stadtraum ist bei ihr zu einem zentralen malerischen Thema geworden, das sie, wie die umfangreiche Ausstellung zeigt, über viele Jahrzehnte verfolgt hat. Bis in die neunziger Jahre hinein malte sie, 1993 starb sie kurz vor der Eröffnung einer großen Retrospektive im Haus im Waldsee.
Wie der Raum in Bewegung gerät, wie die festen Konturen der Architektur durchdrungen werden von Energiebahnen, erzählen ihre Bilder mit immer neuer Freude. In den Stadtlandschaften der 1930er Jahre ist die Gegenständlichkeit noch ein festes Gefüge, das Bild „Nettelbeckstraße“ aus Berlin von 1937 blickt aus etwas erhöhter Position eine Straße hoch, zeigt die Struktur der Fassaden, das Leuchten der Reklamen, hinter jedem hellen Fenster ist ein Leben zu ahnen. Aber noch wirkt die Stadt wie eine Bühne, in der das Stück noch nicht begonnen hat. Dann aber beginnt ihre Stadt zu schwingen, die Farben emanzipieren sich von den Gegenständen, die Formen beugen sich und drehen sich.
Breite Linien und gepunktete Konturen schaffen durchlässige Strukturen, Luft fährt hindurch und Energie. 1956 entstand „Das Fest“, mit Pastellkreiden auf Papier: Zuerst identifiziert der Blick Fenster und in ihnen Herausschauende, mit breitem Strich angedeutet. Dann erahnt man eine Häuserreihe, sie neigen die Giebel zueinander, Farbflächen flattern auf, von losen Punkten leicht an den Malgrund geheftet.
Die Stadt, die Louise Rösler malt, ist nicht der Schauplatz existenzieller Kämpfe wie bei den Expressionisten. Es ist ein versöhnlicherer Ort, etwas vom Feiern des Lebendigen zeichnet ihn aus, wie auch Röslers ländliche Motive. Einige ihrer Bilder, mit Öl auf Holz gemalt, sind beinahe Miniaturen, eingelassen in tiefe Rahmen haben sie etwas von einem Schmuckstück, mit prächtigen Ornamenten, eine dicht gedrängte, komplexe Struktur. Immer wieder stößt man auf große Halbbögen, kreisende Bewegungen, Überschneidungen, spitze Winkel, Durchdringungen von Räumen und Flächen in ihren Bildern. Als gelte es, alles leicht zu halten, alles auszubalancieren, nichts Lastendes, nichts Dominierendes bleibt mehr.
Dabei war das Leben der Malerin nicht einfach, gezeichnet von persönlichen Schicksalsschlägen und politischen Eingriffen. Sie hat ihren Vater früh verloren durch Suizid. Ihr Zwillingsbruder fiel im Zweiten Weltkrieg, ihr Mann Walter Kröhnke wurde als Soldat in Russland als vermisst gemeldet. Ihre frühen Ausstellungserfolge enden abrupt 1933, eine schon aufgebaute Ausstellung in der Galerie Buchholz in Berlin wird 1938 von der Reichskulturkammer geschlossen. Die Malerin und ihre Tochter werden in Berlin 1944 ausgebombt und in den Taunus evakuiert. Aber sie hält an ihrer Malerei, dem lebensvollen Tanz der Formen, fest.
Rösler galt die erste Einzelausstellung 1987 im Verborgenen Museum in Charlottenburg. Das war von Künstlerinnen und Kunsthistorikerinnen gegründet worden, um Malerinnen/Fotografinnen, die in der NS-Zeit aus der Öffentlichkeit gedrängt worden waren und später nur schwer wieder Anerkennung fanden, in die Kunstgeschichte zurückzuholen. (Dort habe ich ihre Bilder kennengelernt und für die taz darüber geschrieben.) Im Katalog zur Schau kann man nun nachlesen, wie das Interesse an Rösler wuchs, zuletzt kam das Familienarchiv Rösler-Kröhnke, das von drei Künstlergenerationen zeugt, an die Akademie der Künste.
Galerie Parterre, Danziger Str. 101, Pankow, bis 15. September Mi. bis So. 13 bis 21 Uhr, Do. 10 bis 22 Uhr
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