Techno-Spuk und Klanggewitter

NETWORKING Das Festival ICAS Suite bietet während der Berlin Music Week rund um das Kottbusser Tor Raum für musikalische Experimente. Am Donnerstag gaben Veranstalter aus Polen den Ton an

VON TIM CASPAR BOEHME

Netzwerke überall. Dass Kooperation hilft, Kräfte zu bündeln, ist gemeinhin bekannt. Dass sie auch Risiken birgt, weil mitunter Vorstellungen und Bedürfnisse unterschiedlichster Art aufeinanderprallen, gehört zu den Kehrseiten der Zusammenarbeit. Allerdings kann man sogar diesen scheinbaren Nachteil ins Positive wenden, wenn man Einzelinteressen bewusst freien Lauf lässt. Nach diesem Modell funktioniert das vom Club Transmediale (CTM) veranstaltete Festival „International Cities for Advanced Sound & Related Arts“ (ICAS Suite), das seit Mittwoch rund um das Kottbusser Tor zu erkunden ist.

Die aktuelle Ausgabe des Kollaborationsprojekts, an dem über 35 Festivals und Musikinitiativen rund um die Welt beteiligt sind, hat einen zusätzlichen Berlin-spezifischen Dreh bekommen. Während beim CTM normalerweise internationale Veranstalter einen Abend lang Überraschungsgäste vorstellen, haben sich die mitwirkenden externen Festival-Organisatoren diesmal Partner in Berlin gesucht, um gemeinsam mit ihnen ein Programm zu gestalten.

Am Donnerstag lag der Schwerpunkt auf Polen. Im Festsaal Kreuzberg hatten sich die Macher des Unsound-Festivals aus Krakau mit dem Berliner Kurator Michail Stangl zusammengetan, um experimentelle Elektronik der zugänglicheren Art zu präsentieren. Unsound, das im Oktober seine zehnte Ausgabe begehen wird, gehört zu den größten polnischen Festivals mit avancierter Musik. Der in Russland geborene Michail Stangl betreut unter anderem die Reihe „not equal“ für das Berghain, in der er neueste Entwicklungen aus den Randbezirken des elektronischen Pop präsentiert.

Geboten bekam man eine gesunde Mischung aus mehr oder weniger bekannten Vertretern elektronischer Musik. Nachdem mit der kurzfristigen Absage der Londoner Bassmusik-Produzentin Cooly G der eigentliche Star des Abends weggefallen war, sprang ihre in Berlin lebende Landsfrau Emika ein. Im Hauptberuf Sounddesignerin für die renommierte Berliner Musiksoftware-Schmiede Native Instruments, bot die Produzentin und Sängerin, die im vergangenen Jahr ihr Debütalbum veröffentlichte, eine leicht spukhafte Mischung aus Techno, Pop und neueren Spielarten des Dub, erinnerte dabei aber zwischenzeitlich an den in den Neunzigern so beliebten Lounge-Sound.

Energischer ging es bei Clark zu. Der Brite ist bekannt für brachiale Collagen aus stampfendem Techno, brutalen HipHop-Rhythmen, Computerklanggewittern und herrlich bonbonbunten Synthesizer-Kaskaden, die er im Festsaal mit vollen Händen an das dankbare Publikum verteilte. Auch wenn sein Ansatz – Clark gehört zu den Stammkünstlern der Londoner Elektronik-Institution Warp Records – vielleicht keine wirklichen Überraschungen bot, ging das akustische Reizüberflutungsmodell allemal auf.

Für optische Reize sorgte schließlich das polnische Kollektiv Pussykrew, das den Auftritt des kalifornischen Duos Nguzunguzu mit hyperkünstlichen Computerbildern verschönte. Während die beiden Musiker HipHop und R & B mit dem Geradeaus-Rhythmus von House kreuzten, kreisten auf einer Leinwand über ihren Köpfen Einzelbilder einer riesenhaften Banane, die sich stets neu zu abstrakten Mustern überlagerten.

Ein paar Schritte weiter im West Germany hingegen hatte man sich ein weit weniger dekoratives Video-Konzept überlegt, um Bild und Ton in Dialog zu bringen. Die Betreiber des Avant Art-Festivals aus Wroclaw entwickelten im Team mit dem Berliner Duo Ursula Böckler und Georg Graw von „Raum für Projektion“ Allianzen zwischen Videokunst und freier Improvisation, die insbesondere der Kunst ausgiebig Raum zur Entfaltung ließen.

Zu sehen bekam man eine Reihe von Filmen, die lediglich einer Vorgabe folgten: 2 Minuten und 22 Sekunden lang zu sein. Dazu spielte das polnische Projekt 2g frei improvisierte Musik an elektronischen und akustischen Instrumenten. So hörte man ultratiefe Bässe und Trompetenklänge, während man auf der Leinwand vor den Instrumentalisten Filmaufnahmen aller Art betrachten konnte – sei es ein junger Mann, der wechselnde Motto-T-Shirts präsentierte („Lieber arm als deutsch“, „Bück dich“), oder Farbstreifen, die sich erst allmählich als unkonventionelle Fassadengestaltung eines Aldi-Gebäudes entpuppten. Am Kottbusser Tor und im Prinzessinnengarten hat man heute noch einmal Gelegenheit zu weiteren ICAS-Entdeckungen.

■ bis heute; www.ctm-festival.de/icas-suite/