TIM CASPAR BOEHME LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Zucker und gotische Türme

Wer hätte gedacht, dass man mit einer Weihnachtsfeier einen so großen Skandal provozieren kann? Im Jahr 1781 war das noch möglich. William Beckford, Erbe eines reichen britischen Zuckerhändlers und Politikers der Whig-Partei, war soeben volljährig geworden und erfüllte sich zu seinem ersten Christfest als Erwachsener einen extravaganten Wunsch: Das vom Vater errichtete Fonthill-Anwesen in der Grafschaft Wiltshire ließ der millionenschwere Nachkomme in einen „orientalischen“ Palast der Sinne verwandeln, in dem die handverlesenen Gäste mit Licht, Musik, Duft und Kunstgegenständen aller Art überwältigt, verwirrt und wohl auch erotisch inspiriert wurden.

Die britische Gesellschaft mochte dem „Rockefeller“ seiner Tage dieses unchristliche Gebaren übelnehmen, für Beckford selbst war das Fest Anstoß zu seinem Roman „Vathek“, einer an die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht erinnernden „gothic novel“, mit der sich der für persische Literatur schwärmende Exzentriker unbeabsichtigt in die Weltliteratur einschrieb.

Das Werk scheint umgekehrt Spuren im Leben seines Verfassers hinterlassen zu haben, wie der Literaturwissenschaftler Norbert Miller in seinem Essay „Fonthill Abbey: Die dunkle Welt des William Beckford“ (Hanser 2012) schreibt. So gibt es in der Geschichte vom Kalifen Vathek, der einen Pakt mit dem Teufel eingeht, im Palast des Herrschers einen hohen Turm, der eine zentrale Rolle spielt – Vatheks Mutter betreibt darin schwarze Magie. Einen hohen Turm wollte auch Beckford errichten, als er 1800 das Gebäude seines Vaters abreißen und ein weit monumentaleres Herrenhaus namens Fonthill Abbey bauen ließ. Die geplante Höhe von 137 Metern erreichte das Bauwerk nie – während der Bauarbeiten stürzte der Turm mehrfach ein. Den Bauherrn beeindruckte das wenig. Seine Fantasie war anscheinend stärker als die Realität.

Der Autor ist ständiger Mitarbeiter der taz-Kulturredaktion