Ausgehen und rumstehen von René Hamann: Die Welt, also Berlin-Mitte, gehört den jungen Leuten
In Mitte ist alles schick. Überall stehen Leihfahrräder und E-Bikes, Menschen stehen auf elektrisch betriebenen Tretrollern und gleiten durch die Straßen, an deren Rändern herausgeputzte Häuser Modeboutiquen, Burger-Läden, Hotelzimmer oder Ferienwohnungen beherbergen. Tatsächlich scheint das Sushi-Restaurant auf dem Rückzug, der Hype um Koreaner und Nudelsuppen hat sich auch gelegt, während der gute alte Bratling immer neue Erfolge feiert. Und wirklich, im „Rosenburger“ am Rosenthaler Platz schmeckt er besonders gut.
Nein, es soll hier mal nicht um Nostalgie gehen. Also kein Wort davon, dass sich da drüben lange eine charmante Budenwelt befand, da, wo jetzt ein Ibis-Hotel steht. Das zeigt nur, dass ich älter geworden bin und auch schon zu den Langzeit-Berlinern gezählt werden kann, zu denen also, die sich an Nächte an Currywurstbuden in Baulücken erinnern. Die Welt, oder sagen wir, wenigstens Berlin-Mitte, gehört aber den jungen Leuten. Sie erkunden die Gegend mithilfe ihrer elektronischen Geräte. Sie lachen und zeigen sich Filme, sie schwingen sich auf die E-Roller oder nehmen sich ein Uber, die sich inzwischen auch in die Stadt geschlichen haben; später teilen sie sich einen Berlkönig (bescheuerter Name, guter Service) oder checken ein Mietauto, niemandem gehört mehr irgendetwas. Die Frage ist nur, woher das Geld kommt. Das Stundenhotel, das gerade am Alexanderplatz entsteht, soll ja absurde Preise haben. Also, das Studentenhotel.
Aber egal. Ich bin mit dem Rad hier und fahre durch die Torstraße, vorbei an den Menschentrauben vor dem Schokoladen, dem bedrohten netten Indie-Laden mit den absurden Öffnungszeiten wegen der Nachbarn. Auch vor der Z-Bar, dem Ziel für heute, steht eine kleine Traube, die Lesung geht pünktlich los.
Auch Chrizzis Buch (Chrizzi Heinen: „Am schwarzen Loch“, Satyr Verlag) erzählt von der großen Stadt, von jungen Leuten, von alten Jugendkulturszenen und neuer Gentrifizierung, auch wenn die Straßennamen lustig verfremdet sind („Rosa-Karl-Straße“) und das Wort „Berlin“ nur ein einziges Mal im Text auftaucht. Die Protagonistin hat ein schwarzes Loch von ihrem Großonkel aus der Schweiz geerbt, und das sorgt für einige Turbulenzen, als sie es in ihrem Badezimmer installiert. Das Buch erinnert so gesehen ein wenig an Raymond Queneau, Georges Perec oder Boris Vian, der Sartre zum Beispiel auch immer Jean-Saul Partre nennen musste. Also so lustig verdrehte französische Literatur der Nachkriegszeit.
Aber Literatur ist verlorene Kunst, schließlich läuft sie nicht auf Netflix. Sie fristet höchstens noch ein Nischendasein, so wie Langspielplatten, irgendwie oldschool und rührig, und passt vielleicht zum Ökotrend, wegen Entschleunigung und so. Bleibt aber Quatsch, der Wahnsinn da draußen soll schließlich weitergehen, und das tut er, ob man ihm mit Beschreibung oder Überspitzung beikommen möchte oder nicht. Sollte auch nicht der Anspruch sein.
Zurück in Neukölln stellt sich heraus, dass sich auch die alte Lieblingsbar herausgeputzt hat. Für eine Entlüftungsanlage hat es nicht gereicht, das Bier jedoch schmeckt gut wie immer, und die Gespräche sind gut. Nur der nächste Morgen, der wird immer härter im Laufe der Jahre.
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