berlinmusik: Als Mensch sterben
Simon Reynolds’ Buch „Retromania“ ist jetzt immerhin auch schon wieder acht Jahre alt, so wie seine Diagnose, dass der jüngere Pop einen Vergangenheitsfetisch hat. Die Vergangenheit ist in der Musik seitdem weiter stark gegenwärtig geblieben, man hat sich mit dem Fortleben bestimmter Stile und Epochen irgendwie eingerichtet.
Auch die aus Argentinien stammenden Berliner Musiker Carmen Burgess und Tomás Notcheff betreiben in ihrer Musik als Mueran Humanos eine Pflege des pop-historischen Erbes. Insbesondere die achtziger Jahre dienen ihnen dabei als Inspirationsquelle.
Seit 2008 leben Burgess und Notcheff, die zugleich Künstler sind, jetzt in Berlin. Drei Alben haben sie in dieser Zeit veröffentlicht, das jüngste davon ist das soeben erschienene „Hospital Lullabies“. Ihrem Ansatz sind sie darauf weiter treu und machen vor, wie man sich einen Sound überzeugend aneignet.
Schon in ihrem Eröffnungsstück „Vestido“, zu Deutsch Kleid, treiben sie ein monumental monotones Riff vor sich her, verhelfen ihm mit minimalen Mitteln zu einer sogartigen Postpunk-Motorik. An anderer Stelle, etwa im optimistisch betitelten „Las problemas del futuro“, fügt sich ihr spanischer, heiser-dunkel gefärbter Singsang ganz vorzüglich in die starr-repetitiven Synthesizersequenzen und Drumcomputerbeats, die bei Mueran Humanos üblicherweise die Produktion beherrschen.
Überhaupt der Name: So ganz eindeutig übersetzen lässt er sich wohl nicht, von „Sterbt, Menschen!“ bis zu „Menschlich sterben“ reicht das mögliche Spektrum der Bedeutungen. Was denn auch wieder ironischer ist als die leicht finstere Inszenierung, mit der sich das Duo präsentiert. Eine Faszination für das Morbide mag da durchaus vorhanden sein, ganz so ernst ist es ihnen womöglich aber nicht.
Wem das immer noch zu düster sein sollte, ist eventuell mit der jüngsten EP der Berliner DJ und Produzentin Perel geholfen. Für das Dresdner Label Uncanny Valley hat Annegret Fiedler alias Perel ihre Katze „Karlsson“ in einem Track gewürdigt. Mit flauschigen Synthesizern und einem herrlich schnurrigen, perfekt rhythmisierten Monolog, der da beginnt mit den Worten „Ich habe eine Katze“. Auch sehr schick.
Tim Caspar Boehme
Mueran Humanos: „Hospital Lullabies“ (Cinema Paradiso)
Perel: „Karlsson“ (Uncanny Valley)
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