Ausgehen und rumstehen von Lorina Speder: Testlauf in Philosophie und Kunst
Wenn man sich am Wochenende auf die Adorno-Leserunde vorbereitet und in seiner „Ästhetischen Theorie“über den Wahrheitsgehalt von Kunstwerken liest, dann macht es Sinn, das gleich in der Praxis anzuwenden. Und wo kann man besser nach Wahrheiten unserer Zeit suchen als bei dem Kunst-Nachwuchs?
Die Kunsthochschule in Weißensee lud am Wochenende zum jährlichen Rundgang ein. Weil ich die Hochschule zudem noch nie betreten habe, wurde mein Besuch bei drückendem Wetter am späten Samstagnachmittag zu einem Muss.
Was wollen mir die zukünftigen KünstlerInnen sagen und wie stellen sie das dar, fragte ich mich in der Tram in Richtung Weißensee. Der erste Eindruck von Messeatmosphäre in der Kunsthochschule mit Menschengewusel, Info-Counter und Verkaufsstand verflüchtigte sich schnell. Die künstliche Welt einer Messe und das Laissez-faire vor Ort mit handgeschriebenen E-Mail-Adressen unter den Atelier-Raumplänen unterschieden sich doch zu stark. Mich interessierte ganz traditionell die Malerei, auch weil Adorno vor seinem Tod 1969 bei Werken der bildenden Kunst meistens von Leinwänden im Bilderrahmen ausgegangen war.
Deshalb lief ich zielstrebig die Korridore entlang, um zum passenden Gebäude zu kommen. Dort sprachen mich Robin Rapps große Werke an. Auf dem untersten Gemälde schaute ich auf eine Person, die sich im rosa Schwimmreifen hängend über Wasser hält. Das übertrug eine merkwürdige, aber interessante Art konstruierter Hilflosigkeit. Der Malstil erinnerte mich durch die glatte Oberflächenstruktur an die Neue Sachlichkeit, was die Künstlichkeit des Konstrukts zusätzlich unterstrich. Das Wasser formt sich auf dem Gemälde zwar kreisartig und fast ohne Regung um den Schwimmreifen und sah aus wie ein ausgeschnittenes Collagenelement – doch kam ich durch die hängende Körperhaltung des Protagonisten im Bild nicht davon weg, einen starken Sog damit zu verbinden, der ihn nach unten zieht.
Gegenüber hingen zwei aufgeblasene, organische Formen in Weiß von Clara Pistner, die im Raum nebenan auch eine Performance zeigte. Natürlich lockte das viele BesucherInnen an, und das kleine Zimmer war teilweise sehr voll. Ich konzentrierte mich auf einen Stoffballen, der auf dem Boden lag und sich durch die Person drinnen immer wieder wölbte. Das statisch Organische an der Wand draußen bekam hier eine bewegliche Form. Ich fühlte mich an einen Kokon erinnert, in dem es brodelt.
Noch mehr erinnerte mich der von außen blickdichte Stoff aber an den Text von Adorno. Hier spiegelten sich formal die hermetischen und uneindeutigen Eigenschaften von Kunstwerken wider, die Adorno in seiner selbst nie konkreten Art und Weise beschreibt. Als ich mich über den Stoffballen beugte, war ich mir sicher, dass die Person darin mich sah – ich erkannte unter dem weißen, fein-durchlöcherten Textil aber gar nichts.
Diese Art von Negation beschäftigte mich auf dem Nachhauseweg. Inzwischen regnete es stark, und die Tram ließ auf sich warten. Dass sich Wahrheiten bei Adorno im Auge des Betrachtenden entfalten, zwingt meinem Urteil ja irgendwie auch die eigene Stimmung auf, dachte ich. Vielleicht bin ich nur meiner eigenen Wahrheit dadurch näher gekommen.
Ich fühlte mich am Samstag schließlich ähnlich undurchlässig wie der Stoff in der Performance, war verschlossen und hatte nichts für Socializing übrig. So sprach ich mit keiner einzigen Studentin über ihre Arbeiten. Doch meine Vermutung, dass das gar nicht so schlimm war, bestätigte sich mit einem erneuten Blick in den Text. Der Wahrheitsgehalt der Kunst weicht bei Adorno nämlich von der eigentlichen Intention der KünstlerInnen ab.
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