„Ich bin ein DJ“

Jean-Christophe Ammann über die Energie in den Bildern

taz: Früher zeigten Museen ihren Bestand. Heute gibt es Ausstellungsevents. Ist das eine neue Ausstellungslogik?

Jean-Christophe Ammann: Eventcharakter ist ein aufgesetzter Aspekt. Es ist wichtiger herauszufinden, welche Werke miteinander auf Zeit eine Beziehung eingehen wollen. Wenn daraus ein Eventcharakter entsteht, dann ist das nicht eine Relation von Ursache und Wirkung, dann ist das im Potential der Werke angelegt, weil sie neugierig sind.

Die Arbeiten bestimmen also ihre eigene Ausstellung?

Es ist verheerend für Werke, wenn sie immer in den selben Konstellationen in Erscheinung treten. Die Werke schlafen ein. Sie sind Energieträger. Sie erschaffen sich selbst ihren Raum, sagen, wie viel Platz sie brauchen – ein energetisches Phänomen, typisch für hervorragende Werke.

Diese Sichtweise ist neu?

Sie ist im zweiten Teil des 20. Jahrhunderts verloren gegangen, auch durch die starke Medialisierung. Die 1990er Jahre waren dafür typisch. Da hat man manchmal vor lauter Video die Kunst nicht mehr gesehen.

In Bonn ist das anders?

Man muss Werke aus der kunsthistorischen Konzeption herausnehmen können. Zum Beispiel Piet Mondrian. Er wurde zur säkularisierten Ikone. Aber wir haben vergessen, die Bilder in uns eindringen zu lassen. Unser Resonanzraum ist flach geworden. Wir haben heute eine zweidimensionale Bildschirmwahrnehmung.

Sie ändern das?

Wenn wir 2005 eine Ausstellung machen, dann gehört es dazu, dass wir die Werkimmanenz wieder in den Vordergrund stellen. Mit ihrem Potential und ein bisschen Ramba Zamba. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in einer Bundeskunsthalle sind, mit einem viel breiter gefächerten Publikum als in anderen Kunsthallen. In Basel können immer die neuesten Strömungen gezeigt werden. Und die jüngere Generation, die längst die digitale Kunst verinnerlicht hat, ist zur Malerei zurückgekehrt. Das ist nicht alles positiv. Ich sage immer, die einen pinseln, die anderen malen.

Sind sie ein DJ für Bilder?

Ja, das stimmt. Ich beschäftige mich eigentlich zu wenig mit der Musik, aber ich weiß was ein DJ ist. Und Sampling. Ich will die Bilder revitalisieren.

Kann man mit Kunst auch Gesellschaft verändern?

Josef Beuys ist in der Ausstellung stark vertreten. Er sah die Gesellschaft als Kunstkörper und die Arbeit daran als künstlerische Arbeit. Das sind alles Dinge, die stark ideologisiert sind. 1975, nach dem Ende der historischen Avantgarde, gab es plötzlich unendlich viele Möglichkeiten. Auch die Künstler mussten sich erst einmal darauf einstellen. Heute können die Bilder Geschichte transportieren, die anderswo nicht transportierbar ist. Und Fragen stellen: Was kann die Kunst transportieren in Form und Bildsprache? Es ist die Bildsprache, die Menschen bewegt, nicht weil das Kommerz oder Kunstmarkt ist, sondern weil es Inhalte sind, die wir so noch nicht gesehen haben.

Also doch Ausstellungslogik?

Ich will den einfachen Menschen die Bilder näher bringen. Damit sie langsam merken, dass die Bilder ein Eigenleben führen. Eine solche Ausstellung besteht zu achtzig Prozent aus Kommunikation. Das ist ein enormer Aufwand und wenn ich das nicht leiste, kann ich keine Ausstellungen verkaufen. In unserer Medienlandschaft müssen die Menschen gelenkt werden.

Deshalb zeigen Museen keine unbekannte Kunst mehr?

Die Leute sind so, die schauen heute, was ist in. Es fehlt auch Führungskompetenz in den Museen. Kaum einer leistet sich dort eine eigene Meinung, vertraut auf seine Intuition. Aber das ist auch eine irrsinnige Anstrengung geworden. Ein Museumsdirektor muss Manager sein. Dazu ein genialer Öffentlichkeitsarbeiter. Und Politiker. Zu oft sind die heutigen Museumsdirektoren aber zu sehr spezialisiert, wie die Ärzte. INTERVIEW: PETER ORTMANN