Zu viel Zivilcourage: ein Biedermann sitzt auf der Anklagebank

Zum ersten Mal in seinem Leben steht Hans Vogel vor Gericht: Er soll einen Polizisten als Nazi beschimpft und eine Polizeiaktion mit den Folterbildern von Abu Ghraib verglichen haben. Während das Gericht die Frage zu klären versucht, ob letzteres eine Beleidigung ist, hat der Angeklagte eines schon verloren: seinen Glauben an den Rechtsstaat

Amtsgericht Köln, Montag Morgen, viertel vor zehn. Unruhig geht Hans Vogel vor dem Saal 22 auf und ab. Dann bleibt er stehen, setzt die Brille auf und schaut in den Glaskasten, wo die Fälle für diesen Tag angeschlagen sind. Als ob er sich vergewissern müsste, dass da wirklich sein Name steht. „Ich war in meinem Leben noch nicht vor Gericht“, sagt er. „Nur einmal mit Mitte Zwanzig war ich als Zeuge geladen.“ Auch in diesem Fall hatte er sich freiwillig als Zeuge zur Verfügung gestellt. Aber jetzt ist der untersetzte Mittfünziger aus Waldbröl, von Beruf selbstständiger Diplom-Betriebswirt, plötzlich der Angeklagte: „Du Schwein!“, „Du Nazi!“ und „Wir sind hier nicht in Abu Ghraib im Irak“ soll er zu einem Polizisten gesagt haben.

Was sich am 23. April genau abspielte in der Kölner Fußgängerzone, beschreibt Vogel der jungen Richterin so: Auf seinem Weg durch die Schildergasse, habe er vor einer Baustelle – „da hing diese Polizei-Werbung, wo Bürger zur Zivilcourage aufgerufen werden“ – ein heftiges Gespräch zwischen zwei Polizeibeamten und einer Frau bemerkt. Als er kurze Zeit später zurückgekommen sei, habe sich um die drei bereits eine Menschenmenge gebildet. Er sei hinzugetreten und habe gesehen, dass die Frau am Boden lag, an einer Hand eine Handschelle, ein Polizist auf ihr sitzend, eine Beamtin direkt davor. Der Rock der Frau sei hochgeschoben gewesen, er habe ihren schwarzen Slip gesehen. „Ich empfand dieses Bild als sehr entwürdigend, für den Menschen, der dort so lag. Und auch für das Ansehen der Stadt, deren Bürger ich bin.“ Er habe die Umstehenden gefragt, ob nicht jemand einen Fotoapparat habe. „Da ist auch das Wort von Abu Ghraib gefallen.“

Nachdem alles vorbei war, sei er zum Einsatzleiter gegangen, weil der Mann neben ihm von einem Polizisten am Fotografieren gehindert worden sei, und habe sich als Zeuge zur Verfügung gestellt. Der Beamte habe zunächst seine Personalien gar nicht haben wollen. „Aber ich bestand darauf, mein Staatsverständnis erforderte das“ – und aus dem Mund dieses gepflegten Biedermanns klingen solch große Worte nicht einmal übertrieben pathetisch.

Da Vogel die anderen Vorwürfe bestreitet, ja, nicht einmal gehört haben will, dass jemand „Du Nazi“, „Schwein“ und ähnliches gerufen hat, konzentriert sich die Richterin auf die Sache mit Abu Ghraib. „Haben Sie gesagt: Wir sind hier nicht in Abu Ghraib?“ Vogel windet sich. So habe er das nicht gesagt. Aber wenn man die Umgebung außer Acht lasse, hätte ihn die Situation, als Foto gewissermaßen, tatsächlich daran erinnert. Er habe in etwa gesagt: „Das sind ja die gleichen Sequenzen wie im Abu Ghraib-Gefängnis.“

Erfüllt das nun den Tatbestand der Beleidigung? Nein, sagt Vogels Anwalt, ein solcher Vergleich sei durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Die Richterin sieht das anders: „Ich würde mich schon beleidigt fühlen.“ Zudem gehe es darum, ob die Situation einen solchen Vergleich rechtfertige: Da Vogel nicht gesehen habe, um was es ging, „stellt sich die Frage, ob es richtig ist, das dann so zu kritisieren.“

Weil man solche Fragen vor Gericht allerdings nur schwer beantworten kann, schlägt die Richterin vor, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldstrafe einzustellen. Vogel lehnt ab. Auch sein Anwalt gibt zu Bedenken, dass sein Mandat sich selbst gemeldet hat. „Er hat das getan, was immer erwartet wird: Kölner sehen hin!“

Doch weil die Richterin Vogel nicht ohne Buße gehen lassen und Vogel aus Prinzip nicht zahlen will, wird ein Zeuge aufgerufen. Es ist der Polizist, der sich von Vogel beleidigt fühlt. Selbstbewusst und sachlich gibt Dirk S. seine Version des Tages zu Protokoll. Er sei sicher, dass Vogel besagte Beschimpfungen von sich gegeben habe. Als er auf der Frau saß, – die sei nicht bei Sinnen gewesen und habe mit ausländerfeindlichen Parolen um sich geworfen, dass es „schon selbstgefährdend war, bei den vielen Ausländern, die es auf der Schildergasse gibt“ – habe er sich umgedreht und Vogel gesehen. „Dieselbe Stimme, derselbe Tonfall“ habe dann das mit dem Nazi und dem Schwein gesagt.

Nun steht Aussage gegen Aussage, die Verhandlung wird vertagt. Vogels Anwalt hat beantragt, zwei Redakteure von Express und Kölner Stadtanzeiger, die zahlreiche Anrufe von anderen Zeugen bekommen haben sollen, als „Zeugen vom Hörensagen“ vorzuladen. Ob Vogel von Nazis und Schweinen geredet hat und ob solche Worte gefallen sind, kann so womöglich geklärt werden. Aber auch wenn er am Ende freigesprochen wird: Mit Vogels ungebrochenem Glaube an die Freunde und Helfer im Rechtsstaat ist es wohl endgültig vorbei. SUSANNE GANNOTT