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Guten Stoff erkennen

Nachhaltige Kleidung zu kaufen ist gar nicht so einfach. Ein Dschungel aus Textilsiegeln sorgt für Verwirrung. Doch Konsumenten können auch mit kleinem Budget etwas bewirken

Nachhaltige Mode hat in Berlin Fuß gefasst, hier die Ethical Fair 2014 im E-Werk Foto: Karsten Thielker

Von Katja-Barbara Heine

Rund 60 Kleidungsstücke pro Kopf kaufen Deutsche durchschnittlich laut Greenpeace jedes Jahr, tragen sie aber nur halb so lange wie noch vor 15 Jahren. Häufig handelt es sich um Textilien, bei deren Herstellung Arbeitskräfte ausgebeutet, Rohstoffe abgebaut und Gewässer verschmutzt wurden, und die möglicherweise gesundheitsschädliche Chemikalien enthalten. Die Bekleidungsbranche ist ein großer Umweltsünder, allen voran die Fast Fashion Industrie: Große Ketten wie H&M oder Zara bringen jährlich bis zu 52 Kollektionen heraus – viel mehr als verkauft werden kann. Weltweit wird jede Minute eine Lkw-Ladung Kleidung auf den Müll gekippt oder verbrannt.

„An einem 2-Euro-T-Shirt von Kik klebt Blut, das ist uns mittlerweile bewusst“, sagt Greenpeace-Sprecherin Viola Wohlgemuth. Mit der internationalen „Detox my Fashion“-Kampagne möchte die Umweltorganisation die Textilindustrie „entgiften“: „In den letzten sieben Jahren haben wir es geschafft, dass sich 80 Textilproduzenten und Händler dazu verpflichten, ihre Produktion transparent zu gestalten und bis 2020 auf den Einsatz der elf gefährlichsten Chemikaliengruppen verzichten.“ Unter ihnen sind H&M, Zara, Nike, Adidas, Aldi und Lidl und damit schon 15 Prozent der Bekleidungsfirmen weltweit.

Auch die weltweit größte Messe für nachhaltige Mode, „Neonyt“, fordert einen Paradigmenwechsel. Sie ist aus dem „Greenshowroom“ und der „Ethical Fashion Show“ hervorgegangen, der Name bedeutet übersetzt so viel wie „erneuertes Neu“. „Wir wollten die Begriffe ,green' und ,ethical' nicht mehr im Namen haben“, sagt Neo­nyt-Kreativdirektorin Magdalena Schaffrin, denn „eigentlich sollte es ganz selbstverständlich sein, dass Mode nachhaltig ist.“

Das neue Format, das vom 2. bis 4. Juli zum zweiten Mal in Berlin stattfindet, ist mehr als eine Messe, ein „Hub“ mit einem Rahmenprogramm aus Konferenz, Diskussionen, Showcases und Thinktank. „Es besteht großer Gesprächs- und Informationsbedarf bei Konsumenten, aber auch bei Händlern“, so Magdalena Schaffrin. Als sie 2009 den Greenshowroom gründete, war sie optimistischer als heute. „Das Thema nachhaltige Mode ist omnipräsent, aber es passiert noch viel zu wenig.“ Vor allem die großen Bekleidungsfirmen seien in der Verantwortung und müssten mehr tun, um ihre Lieferketten transparenter zu gestalten. In den letzten Jahren wurde der Markt mit Textilsiegeln geradezu überschwemmt. Rund 40 verschiedene Zertifizierungen sollen Aufschluss dar­über geben, ob ein Kleidungsstück fair hergestellt wurde. Die Label werden direkt aufs Produkt, etwa das Etikett, oder auf die Verpackung gedruckt. Jedes Siegel verspricht etwas anderes – den Verbraucher hinterlässt das oft verwirrt und ratlos.

So gibt es auf der einen Seite Siegel, die zertifizieren, dass ein Textil unter sozial fairen Bedingungen hergestellt wurde. Wichtig ist hier etwa der rote Kleiderbügel der niederländischen Fair Wear Foundation, der vor allem die Bedingungen in den Nähereien Asiens prüft. Außerdem gibt es zahlreiche Ökosiegel, die die Auswirkungen der Produktion auf die Umwelt bewerten – das strengste Label ist hier das „IVN Best“ des Internationalen Verbands der Naturtextilwirtschaft (IVN).

Umweltsiegel sagen aber nicht unbedingt etwas über die Sozialverträglichkeit eines Textils aus und andersherum. Ein Biobaumwollhemd kann durchaus für Hungerlöhne gefertigt worden sein, und bei der Herstellung eines Fairtrade-Produkts können Pestizide zum Einsatz kommen. Ein wirklich nachhaltiges Kleidungsstück braucht also Zertifizierungen aus beiden Bereichen.

Die Weltweit größte Messe für nachhaltige Mode findet vom 2. bis 4. Juli statt, täglich von 10 bis 19 Uhr, am letzten Tag von 10 bis 17 Uhr. Veranstaltungsort ist das Kraftwerk Berlin, Köpenicker Straße 70, 10179 Berlin.

Eines der wenigen Siegel, die sowohl den sozialen als auch den ökologischen Aspekt abdecken, ist das GOTS (Global Organic Textile Standards). Es verlangt, dass das Kleidungsstück mindestens 70 Prozent Naturfasern aus kontrolliert biologischem Anbau enthält. Allerdings dürfen synthetische ­Recyclingfasern beigemischt werden. Außerdem muss der Herstellungsprozess die sozialen Kriterien der International Labour Organisation (ILO) erfüllen. Bald könnte der vom Entwicklungsministerium geplante „Grüne Knopf“ (siehe unten) als staatliches Metasiegel hinzukommen.

Textilsiegel kosten die Unternehmen Geld. Kleine Firmen können sich, selbst wenn sie nachhaltig produzieren, eine Zertifizierung deshalb oft gar nicht leisten. Konsumenten hingegen können auch mit kleinem Budget etwas bewirken, sagt Magdalena Schaffrin: „Nachhaltige Mode ist kein Luxusgut. Natürlich zahlt man ein bisschen mehr dafür, dass Menschen in den Produktionsländern nicht ausgebeutet werden. Aber man kann sich auch günstig fair kleiden. Fast jede große Bekleidungsmarke hat mittlerweile eine nachhaltige Kollektion.“

Vor allem aber könnten Verbraucher etwas gegen den Überkonsum tun, indem sie „weniger Kleidung kaufen und Secondhand kaufen. Und die Sachen lange tragen und reparieren oder zum Schneider bringen, anstatt sie wegzuwerfen und neu zu kaufen.“