Vom Verhältnis zwischen Salon und Werkstatt

Wegen des Wirbels um den Neubau der Akademie der Künste am Pariser Platz wird leicht vergessen: Die Akademie war schon vorher in Berlin. Der alte Standort mitten im Tiergarten wandelt sich mehr und mehr zur Werkstätte. Vor allem junge Künstler können hier ungestört experimentieren

VON TINA HÜTTL

Das Foto von der Eröffnung zeigt gut gekleidete Menschen, die vor der Akademie der Künste Schlange stehen. Am Eingang parkt ein schickes Käfer Cabrio neben einem schwarzen Mercedes mit mächtigen Heckflossen, aus dem gerade der Bundespräsident entschwebt. Entstanden ist die Aufnahme nicht etwa auf dem Pariser Platz und nicht in diesem Jahr. Sie stammt von 1961 und hängt in der Akademie der Künste am Hanseatenweg, die selbst auf dem Foto zu sehen ist.

So viel Aufmerksamkeit widerfährt dem alten Standort heute schon lange nicht mehr. Fast in Vergessenheit geraten ist er, seit sich die Medien und Touristen um den von Günter Behnisch erbauten Glaspalast am Brandenburger Tor drängeln. Die alte Akademie dagegen scheint weit ab von der neuen Mitte – und irgendwie ist sie das trotz geografischer Nähe auch. Tief im Tiergarten liegt sie, versteckt von lauter Grün, sodass der nüchterne Flachbau Werner Düttmanns, der an eine moderne Klosteranlage erinnert, kaum hervorlugt. Seit im vergangenen März etwa die Hälfte des Personals abwanderte, um ihr neues Quartier am Pariser Platz zu beziehen, steht fast der gesamte dritte Stock des Anbaus leer. Droht der Akademie nun ein kostspieliger Leerstand oder – noch schlimmer – der Sturz in die kulturpolitische Bedeutungslosigkeit?

Ganz im Gegenteil, sagt Renate Schubert, die Referentin der Abteilung Film- und Medienkunst. Sie kümmert sich auch um die Junge Akademie, ein Stipendiatenprogramm, das junge Künstler finanziell, durch Projektunterstützung und durch Veranstaltungen fördert. Für sie bedeuten die frei geräumten Zimmer, dass endlich wieder Spielraum für neue Ideen ist. Und davon gebe es genügend. Wichtigstes Ziel sei, die ehemaligen Büros – entsprechend der ursprünglichen Bestimmung durch ihren Erbauer – wieder in Arbeits- und Wohnstätten für Künstler umzuwandeln.

Ein Schwung neuer Farbe

Seit ein paar Monaten wird genau daran gearbeitet. Viel Arbeit falle aber nicht an, sagen die Handwerker. In den meisten Fällen müsse nur neu gestrichen und etwas umgeräumt werden. Insgesamt sechs Apartments, drei Ateliers und auch ein Büroraum werden am Ende zur Verfügung stehen. Was bereits fertig ist, ist auch schon belegt – zumeist von Stipendiaten der Jungen Akademie. 15 von ihnen werden Jahr für Jahr gefördert. Eine Initiativbewerbung ist ausgeschlossen, die Aufnahme erfolgt nur auf Vorschlag einer Jury.

Brigitte Witzhausen gehört zu den Auserwählten. Opernregisseur Peter Konwitschny, ein Mitglied der Akademie der Künste, war auf die „Musik-theatralischen Videoinstallationen“ der Studentin an der Musikhochschule Hanns Eisler aufmerksam geworden. Für ein Jahr erhält sie nun 500 Euro monatlich und bekommt zusätzlich noch mietfrei ein Büro. Bisher musste sie zu Hause arbeiten. Zusammen mit ihrem Assistenten teilt sie sich nun die wenigen Quadratmeter des kahlen, rechteckigen Raumes. Die Stipendiatin empfindet ihn trotzdem als Luxus: „Endlich muss ich nicht ständig mit meinen technischen Geräten umziehen“, sagt sie. Für ihr letztes Projekt hat Witzhausen die Musik eines jungen Komponisten parallel auf fünf Monitoren visualisiert. Ihr Werk ist ohne Rechner mit hochauflösendem Bildschirm, Kameras, Scanner, Beamer und Schneidetechnik gar nicht realisierbar.

Früher sei es nicht möglich gewesen, Arbeitsräume bereitzustellen, sagt Schubert, ihre Betreuerin. Der Platz habe einfach gefehlt. Spätestens seit 1993, als die Ost- mit der West-Akademie verschmolzen wurde und das Personal auf über 150 Mitarbeiter anwuchs, standen nur zwei Apartments im Haus überhaupt noch für Gäste zur Verfügung. Freie Ateliers gab es gar keine, in den Räumen saßen Mitarbeiter der Verwaltung. Dabei hätten in den Anfangsjahren nach der Gründung traditionell immer viele Künstler hier gewohnt, etwa der Schriftsteller Samuel Beckett, Mies van der Rohe, während er die Neue Nationalgalerie erbaute, oder zuletzt auch immer wieder die Regisseurin Margarethe von Trotta.

Angesichts seiner bedeutenden Vorgänger fühlt sich der Ire Jonathan Quinn geehrt, dass er für drei Monate das Atelier 1 nutzen kann. Schön gefügt habe es sich, ließ der Stipendiat auf seine aufklappbare Visitenkarte drucken, dass er seine ortsgebundene Installation just in jenem Raum machen kann, in dem schon der italienische Bildhauer Marino Marini eine Büste Mies van der Rohes fertigte und Samuel Beckett zum Schreiben kam. Quinns Kunst ist in dem grellweißen Atelier mit der doppelten Deckenhöhe kaum sichtbar. Nur wer genau in die Ecken des Raumes sieht, entdeckt die Umrisse seiner Möbel. Wie eine Spinne hat er da aus roter Anglerschnur und Nylonfäden eine ganze Sitzgruppe mit Couch, Tisch und Sessel und einen Schreibtisch mit Bett zwischen die Wände gespannt. Beschwert werden die herabhängenden Fäden der Tisch- und Stuhlbeine mit gekauten und anschließend gerollten Kaugummis.

Neben ihm ist bis Ende August die Fotokünstlerin Katrin Korfmann aus Amsterdam eingezogen. Im Gegensatz zu Quinns nüchternem Atelier liegen bei ihr Luftballons und viel Kinderspielzeug verstreut – Relikte der Geburtstagsparty für ihre zweijährige Tochter, die auch mit nach Berlin kommen durfte.

Noch wohnen die Stipendiaten hier umsonst – doch es regt sich Widerstand. Wegen der Geldnöte des Hause sähen es einige auf Leitungsebene gerne, dass sie Miete zahlen, sagt Schubert. Zwischen 50 und 75 Euro pro Tag nimmt die Akademie für die Vermietung eines Ateliers. Überhaupt passt nicht jedem am Hanseatenweg, dass wieder richtig Leben im dritten Stock herrscht. Sichtlich schwer damit tut sich der Hausmeister. Auf einem handgeschriebenen Zettel im Flur weist er die neuen Bewohner darauf hin, sie mögen doch bitte alles immer wieder so verlassen, wie sie es vorgefunden haben. Auch er musste seine frühere Wohnung räumen. Sie kann nun tageweise für 40 bis 70 Euro von Künstlern gemietet werden. Momentan ist sie frei. Die Zeit scheint an der Einrichtung der zwei kleinen Zimmer spurlos vorübergegangen zu sein. Auch die winzige, pastellfarben geflieste Badezelle und die mit weiß-rotem Plastik laminierte Küchenzeile stammt original aus den 60er-Jahren.

Auf den neuesten Stand gebracht wird dagegen derzeit die Präsidentenwohnung, in der Adolf Muschg, wenn er in Berlin weilt, wohnen wird. Wände, die vorher die Buchhaltung von der Abteilung Publikation trennten, wurden eingerissen. Entstanden ist ein großer, repräsentativer Raum, in dessen Decke sich Oberlichte wie Bullaugen nach außen wölben. Spätestens in zwei Monaten sollen die letzten Baustellen im Haus verschwunden sein.

Das Konzept einer Lebens- und Arbeitsstätte von Künstlern, die sich hier am alten Standort der Akademie treffen und austauschen können, scheint aufzugehen. Auch die Sprecherin Anette Schmitt benutzt gern das Bild von der betriebsamen „Werkstatt“ einerseits und dem repräsentativen „Salon“ andererseits, der mit dem Neubau am Pariser Platz entstanden ist. 17 Millionen Euro jährlich lässt sich der Bund die Trägerschaft der Akademie kosten, die er 2004 vom Land Berlin übernommen hat. Wie viel Geld davon in welches Haus fließt – darüber gibt es noch keine Aufstellung. Eine Vereinbarung zwischen den Standorten, die Summe gleichmäßig zu splitten, existiere aber nicht, sagt Schmitt. Vermutlich koste das Haus am Pariser Platz wegen seiner aufwändigen Glasbauweise und der neuesten Technik wesentlich mehr Unterhalt.

Dabei bietet es aber weniger Platz. Am Hanseatenweg gibt es drei Ausstellungssäle mit insgesamt 1.500 Quadratmetern. Der in diesem Jahr eröffnete Sitz hat zwar vier, zusammen ergeben sie aber nur 700 Quadratmeter Fläche. Vieles, was an der alten Akademie möglich ist, geht am Pariser Platz schlicht nicht: Kinovorführungen wie zuletzt die Premiere des Heinrich-Breloer-Dreiteilers „Speer und Er“ finden im Tiergarten statt, auch wenn sich der Regisseur die Ausstrahlung an Speers Wirkungsstätte vor dem Brandenburger Tor gewünscht hatte. Doch ein Studio existiert dort nicht, auch Sitzplätze für 700 Leute gibt es nur am alten Standort.

Die anfängliche Befürchtung, dass dort nur noch Veranstaltungen zweiter Klasse stattfinden, da alle zum „Salon“ eilen, sieht Schmitt also nicht bestätigt. Freilich erscheine den VIPs das Gebäude am Pariser Platz attraktiver. „Da wird dann triumphierend die Adresse der Veranstaltung verkündet“, weiß sie aus Erfahrung. Doch sie ist sicher, dass der Wirbel um den Behnisch-Bau auch wieder verebben wird. In vielerlei Hinsicht sei das alte Haus sogar besser, funktionaler; die Architektur lenke weniger von den Inhalten ab.

Die bessere Adresse

„Wer das hier kennt, schätzt es und kommt immer wieder“, sagt auch Ellen Scheyer, die die Vermietung beider Akademiebauten managt und nach wie vor am alten Standort sitzt. Derzeit erhält sie etwa zwei Drittel der Anfragen für den Pariser Platz. Trotz der gesteigerten Nachfrage seien die Zahl der bloßen Vermietungen für den Tiergarten aber nicht niedriger als zuvor. Im Gegenteil: Zurzeit könnten hier gar keine Kapazitäten mehr vermietet werden, weil das Haus von September bis Dezember mit vielen Eigenveranstaltungen komplett ausgebucht sei.

Scheyer schätzt, dass das neu entbrannte Interesse für die Akademie beiden Sitzen zugute kommt. Bei der Frage, wo sich Kunden gerne einmieten, stünde für die interessierten Schriftstellerclubs, Verlage und Theaterkompanien der Preis selten im Vordergrund. Eher gehe es darum, wo was möglich sei. Doch zum Vergleich: Der Plenarsaal mit rund 270 Quadratmetern am Pariser Platz kostet für bis zu 10 Stunden 3.500 Euro Miete. Das Studio im Tiergarten dagegen nur etwas mehr als ein Drittel, obwohl es wesentlich mehr Platz bietet. Wer aber mit der Kamera anrückt, bezahlt für den attraktiven Schwenk zwischen Akademie, Brandenburger Tor und Reichstag. Daher werden wohl künftig die tollen Bilder mit Bundespräsident, Prominenz und schicken Menschen eher am Pariser Platz entstehen. Tief im Tiergarten stört das aber keinen: Hier hat man genug zu werkeln.