Turbo-Abitur? „Nur Nachteile für die Kinder“

SCHULE Das Gymnasium Vegesack will sich verabschieden vom „Turbo“-Abi und der Verkürzung der Schulzeit auf 12 Jahre. Die Bildungsbehörde hat das – ein Jahr nach dem Antrag der Schule – mit einer dreizeiligen Mail untersagt. Das empört den Elternsprecher

Von Klaus Wolschner

„Das ist eigentlich eine Frechheit“, sagt Alexander Lerchl. Der Biologieprofesssor an der Jacobs-University neigt sonst nicht zu sprachlichen Ausfällen, aber der Vorgang bringt ihn doch auf die Palme. Es geht um den Streit um das Gymnasium Vegesack, dessen Elternsprecher Lerchl ist: „Ein Jahr lang haben wir von der Bildungsbehörde keine Antwort erhalten und jetzt dieser Dreizeiler.“ Eine Rückkehr der Schule zu einem Gymnasium, an dem das Abi nach neun Jahren abgelegt wird, sei nicht möglich, weil das Schulgesetz das nicht erlaube, steht in der Mail. Im Juni 2008 hatte die Schulkonferenz des Gymnasiums Vegesack dies mit einer ausführlichen Begründung beantragt.

Der schlichte Verweis auf das neue Schulgesetz verärgert den Elternsprecher nicht nur, weil dieses Gesetz gerade erst nach einem Vorschlag der Schulbehörde so geändert wurde – für die Regelung, dass Gymnasien in Bremen nur nach acht Jahren zum Abitur führen können, sollte es da doch eine Begründung gegeben haben. Als der Antrag vor einem Jahr gestellt wurde, gab es diesen Passus in dem Gesetz zudem noch nicht – nach „altem Recht“ hätte man ihn mit dieser formalen Begründung nicht ablehnen können. Und zudem plant dieselbe Schulbehörde, die in Vegesack schlicht „njet“ sagt, in Obervieland genau das: ein Gymnasium, das auch den 9-jährigen Weg zum Abitur anbietet. Es geht also doch, wenn die Behörde es will. „Das Bremische Schulgesetz steht für mich nicht auf einer Stufe mit den Zehn Geboten“, sagt Schulleiter Wilfried Hornung trocken.

Lerchl will sich mit der Antwort nicht zufrieden geben und auf der nächsten Elternbeiratssitzung die Frage aufwerfen, ob man Rechtsmittel einlegen sollte. Eben weil die Ablehnung unbegründet sei. Und weil der Stil, in dem die Behörde mit der Schule umspringt, nicht hinnehmbar ist. Der für die Gymnasien zuständige Oberschulrat Jürgen Fiedler hat vor Jahren, als er noch selbst Schulleiter war, in einer Diskussion gegen die „absurden Eingriffe“ der Bürokratie in die Schulen gewettert, den mangelnden Respekt vor der Schule und den fehlenden Wettbewerb zwischen den Schulen beklagt. Es sei abenteuerlich, so Fiedler damals, wenn von internen Kräften der Schule erwartet werde, „extern gesteuerte Demotivationsprozesse zu korrigieren“.

Mit 14 Ja-Stimmen bei zwei Enthaltungen hatte die Schulkonferenz vor einem Jahr den Willen der Schule formuliert, von dem „Turbo-Abitur“ wieder Abstand zu nehmen. Die Abstimmung fiel so einhellig aus, weil die Schule lange beraten hatte. Der Elternbeirat hatte im Mai 2008 mit 26 Ja-Stimmen bei drei Enthaltungen dafür votiert, „Gy9“ zu ermöglichen, eventuell parallel zu einem Gy8-Angebot.

Begründung: Die Reform hin zu einem Abitur nach 12 Jahren hat „für die Kinder, das Lehrpersonal und die Eltern keine Vorteile, sondern massive Nachteile“. Die Verkürzung der Schulzeit führe zu Qualitätsverlusten, „besonders Kinder, deren Eltern nicht in der Lage sind, ihnen zu helfen, haben zusätzliche Nachteile“. Die Eltern wehrten sich auch gegen die hohe Anzahl an Unterrichtsstunden pro Woche, die zu Nachmittagsunterricht führe. Hierdurch werde den Schülern zunehmend die Möglichkeit genommen, „außerschulischen Aktivitäten, die für die Entwicklung ebenso wichtig sind, nachzugehen. Hierzu gehören vor allem sportliche und musikalische Entwicklung“. Kurz: „Unsere Kinder haben immer weniger Zeit, um sich mit anderen Kindern zu treffen, zu spielen und einfach Kind zu sein. Ihre Terminkalender sehen schon fast so wie bei Erwachsenen aus.“

Trotz des feierlich unterzeichneten Bildungskonsenses hat die CDU in dem Fall, räumt deren Bildungspolitiker Claas Rohmeyer ein, keinen Einfluss. Der Vorfall bestätige für ihn, sagt er, „dass die Behörde mit den Schulen nicht richtig umgeht“. Aber „formell hat die Behörde Recht“. Das Ziel der CDU sei es gewesen, dass die Gymnasien nur Gy8 anbieten und die Oberschulen nur Gy9. Im Bildungskonsens habe die SPD aber durchgesetzt, dass die Oberschulen auch Gy8 anbieten dürfen. Das Gymnasium Vegesack, so ist Rohmeyer überzeugt, muss keine Sorge haben, dass es zu wenig Schüler bekommt. Aber wenn die Zahl der Oberstufen über die Oberschulen planlos (oder planvoll?) vermehrt wird, dann wird es seiner Überzeugung nach an der Jahrgangsbreite für das Konzept der Profi-Oberstufe fehlen. Um eine ausreichende Anzahl von Wahlmöglichkeiten anbieten zu können, braucht eine Oberstufe rund 100 Schüler pro Jahrgang. Und bei der Entwicklung der Profil-Oberstufe war das Gymnasium Vegesack vor Jahren der Vorreiter – als das Thema in der Bildungsbehörde noch nicht wirklich angekommen war.

Zum Beispiel ist das Schulzentrum Lerchenstraße jetzt zur Oberschule geworden ist. Rund 40 Jugendliche sind dort in der „Eingangsphase“, dem ersten Jahrgang, der sich auf den Weg zum Abitur gemacht hat, die Hälfte davon will das Abi nach acht Jahren machen. Das sind nicht viele – aber es sind Schüler, die für ein breites Oberstufen-Angebot im Gymnasium Vegesack fehlen könnten.