Theater als Grenzgang und Krise

THEATER Der renovierte Brauhauskeller wird mit einer eindrucksvollen Performance aus Werken Heiner Müllers wiedereröffnet. Am Sonntag feiert noch ein Macbeth Premiere

von JAN ZIER

Es geht um – aber vielleicht ist das hier auch gar nicht so wichtig. Das Stück mit dem kryptischen Titel „Heiner Müller Material 1 & 2“ ist ohnehin eher eine Performance als alles andere. Den Dramatiker selbst kümmerte wenig, ob der Theaterbesucher sein Werk versteht. Und die Interpretation wollte er anderen überlassen. Das, fand er, sei das „Problem der Inszenierung“.

Und bei der entschied sich Alice Buddeberg für eine Zusammenschau aus Müllers 1977 geschriebener „Hamletmaschine“ und seinem Werk „Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten“ von 1982. Schon im ersten Teil ist vom traditionellen Theater nur noch ein grobes Gerüst geblieben, scheinbar ohne inneren Zusammenhang stehen die Szenen nebeneinander, werden Textpassagen repetiert, immer schneller, bis die virtuosen Worte schließlich im Sperrfeuer der Laute enden. „Man kann die Bedeutung von Worten nicht mehr identifizieren“, heißt es an einer Stelle. Müller, Grenzgänger zwischen den politischen Systemen des 20. Jahrhunderts, entlarvte die „Wirklichkeit“ in ihrer unausweichlichen, allgegenwärtigen Gewalt mit radikalen Bildern.

Buddebergs Regiearbeit – zuletzt war sie mit einem noch eher durchwachsenen „Menschenfeind“ von Molière präsent – besticht vor allem durch die Art und Weise, wie sie ihre SchauspielerInnen zu Glanzleistungen herausfordert. Und das auch dokumentiert: Am Ende einer kahlen Bühne am Rande des Ostteils der deutsch-deutschen Mauer steht eine Videoleinwand, in der die Inszenierung in einem parallelen „Making of“ zugleich ihre eigene Genese reproduziert. Und torpediert. Immer wieder werden Szenen aus der Probe eingespielt, doch sie können an Intensität und Wucht mit ihrem Spiegel auf der Bühne noch nicht mithalten. „Theater ist Krise“, sagt Müller, in einem ganz umfassenden Sinne, kann nur als, in der Krise funktionieren, einen Bezug zur Gesellschaft entwickeln, sie verändern.

Die fulminante Inszenierung im dezent renovierten Brauhauskeller ist dem diesjährigen Themenschwerpunkt „20 Jahre Mauerfall und Deutsche Einheit“ verpflichtet und ist zugleich eines von ganz wenigen zeitgenössischen Stücken in einem von lauter Klassikern durchsetzten Spielplan. Sonntag hat nach „Woyzeck“ wieder einer Premiere: Shakespeares „Macbeth“, in einer Neuübersetzung und der Regie von Frank-Patrick Steckel. Sein außerordentliches Renommee mag darüber hinweghelfen, dass Bremen „Macbeth“ nun gleich zwei Mal zeigt – im Theater und parallel dazu der Shakespeare Company.

„Heiner Müller Material 1 & 2“ läuft wieder am 21., 31. Oktober und 14. November. „Die Macbeth Tragödie“ ist zunächst am 18., 21., 24., 31. Oktober zu sehen