Rempeln gegen die Räumung

Wer jetzt noch im Gaza-Streifen ist, büßt sein Eigentum ein. Den Siedlern ist das gleich – zu verfahren ist ihre Situation

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Morgen früh, punkt null Uhr, wird es ernst für sie. Kurz vor Toresschluss haben zwar noch 150 jüdische Familien die Chance genutzt, friedlich aus den Siedlungen im Gaza-Streifen abzuziehen. Aber entgegen früheren Vermutungen der Armee ist die Mehrheit der insgesamt 8.000 Siedler in ihrem Zuhause geblieben. Seit Montagmorgen nun gehen israelische Sicherheitskräfte von Haus zu Haus, um den Räumungsbefehl persönlich zu überreichen. Die Betroffenen reagieren mit Tränen, mit dem Versuch, die Soldaten zur Befehlsverweigerung zu bewegen, jüngere Aktivisten mit Rempeleien und Beschimpfungen – alles ein Vorgeschmack auf den Abzug aus dem Gaza-Streifen.

Gegen sechs Uhr morgens standen, Augenzeugenberichten zufolge, tausende Soldaten am Haupttor der verbarrikadierten Siedlung Neve Dekalim. „Binnen Minuten“, berichtet Rachel Saperstein, Lehrerin in der Siedlung, „waren unsere Männer am Tor.“ Die Soldaten kappten den Zaun an anderer Stelle, immer wieder aufgehalten von meist jugendlichen Abzugsgegnern, die mit brennenden Autoreifen die Armeefahrzeuge zu stoppen versuchten. Nach Stunden einigten sich die Konfliktparteien zumindest darauf, 150 Umzugscontainer in die Siedlung zu bringen.

Der Zugang zum Gaza-Streifen ist nun komplett verschlossen, der Aufenthalt für Israelis dort verboten. Wer trotzdem geblieben ist, hat automatisch ein Drittel der ihm zustehenden Wiedergutmachungszahlung verloren. Polizei und Armee haben die umstrittene Zone weiträumig abgesperrt, auch die östlich vom Gaza-Streifen bis zur ägyptischen Grenze führende Landstraße darf von Zivilfahrzeugen nicht mehr befahren werden. Stattdessen drängen Nahrungsmittellieferanten, Busse, Panzerwagen und Truppentransporter in die Armeelager Re’im A und Re’m B, wo bis zu 50.000 Sicherheitsleute die kommenden Nächte verbringen werden.

Der offizielle Zeitrahmen ist auf vier Wochen angelegt. In den Reihen der Armee hofft man allerdings, dass die Räumung der zunächst 21 jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen schon in drei Wochen vorbei sein könnte. Die grobe Planung sieht täglich zwei Siedlungen vor, wobei das Tempo letztlich von den Entwicklungen bestimmt werden wird, so eine Armeesprecherin.

Obschon die militanten palästinensischen Widerstandsgruppen eine Waffenruhe für die Zeit des Abzugs versprochen hatten, wurden am Montagmorgen erneut zwei Mörsergranaten auf eine Siedlung abgeschossen. 7.500 palästinensische Sicherheitskräfte sind im Einsatz, um Übergriffe auf Siedler und Soldaten zu verhindern und um Palästinenser nach dem Abzug daran zu hindern, die Siedlungen zu stürmen und dort womöglich Siegesfeiern abzuhalten. Der israelische Stabschef Dan Halutz warnte, dass der Abzug unterbrochen werden könnte, sollten die israelischen Truppen beschossen werden.

Teams mit je 17 Sicherheitskräften, – bestehend aus zwei Dritteln Polizisten und einem Drittel Soldaten – sind täglich für durchschnittlich zwei Häuser zuständig. Wie weit sie kommen, hängt von der Kooperationsbereitschaft der Bewohner ab. Erst am jeweiligen Vorabend wollen Polizei und Armee entscheiden, welche Siedlungen am kommenden Tag an der Reihe sind. Die Regierung hatte zunächst nur über die drei isolierten Orte Morag, Kfar Darom und Netzarim entschieden – Siedlungen, die zu den Hochburgen der nationalreligiösen Abzugsgegner zählen. Am Montag dann ratifizierte das Kabinett mit 16 zu 4 Stimmen die Evakuierung aller Siedlungen im Gaza-Streifen sowie vier weiterer im Westjordanland. Diese stehen allerdings erst Anfang September auf dem Programm.

Sobald die Bewohner der Häuser abtransportiert sind, errichtet die Armee rings um den evakuierten Ort Sperren, um das erneute Eindringen der Siedler zu verhindern. Die Soldaten beginnen dann mit dem Packen der Einrichtungen. Formal gilt, dass alle, die dem Evakuierungsaufruf nicht rechtzeitig nachgekommen sind, ihr Eigentum automatisch verlieren. Dennoch will das Verteidigungsministerium dafür sorgen, dass die Familien ihre Wohnungseinrichtungen zurückbekommen. Die Umzugskommandos der Armee werden auch die Schulen und Synagogen sowie knapp 50 Gräber räumen. Auch die Toten werden vorübergehend ausgelagert, bis die Familien über eine endgültige Ruhestätte entscheiden.

Nach elf Jahren wird der Gaza-Streifen zum zweiten Mal autonom. Damals räumten nur die israelischen Soldaten das palästinensische Gebiet im Gaza-Streifen sowie in Jericho. Mit der Evakuierung der Siedlungen bekommt der israelische Abzug eine veränderte Qualität. Denkbar sind zwar auch künftig Militärinvasionen (siehe Text unten), doch eine erneute dauerhafte Besatzung im Gaza-Streifen wird es nicht geben.